Montag, 18. März 2024

Bautätigkeit dank Konjunktur und Kieswerk angekurbelt

Verglichen mit den 50er-Jahren hatte in Weiach punkto privater Bautätigkeit im Jahre 1962 so etwas ein Boom eingesetzt. Das konstatierte zumindest der Dorfchronist Walter Zollinger. Unter der Rubrik «Bautätigkeit/Handänderungen» berichtete er im Sommer 1963 über dieses damals völlig neue Phänomen:

«Wohl infolge der Hochkonjunktur und damit des besseren Verdienstes ist auch bei uns die Bautätigkeit etwas lebhafter geworden. Es können folgende Neu- und Umbauten ausgeführt oder doch begonnen werden:

E. Schmassmann, Kaiserstuhl
Umbau der alten "Schlosserei Rob. Meierhofer" im Bühl zu Wohnungen für Fremdarbeiter,

Arthur Hintermann-Willi Weiach
Einfamilienhaus an der Kellenstrasse
[Chälenstrasse 3], gegenüber der alten Schmiede,

Alfred Moser-Nepfer Bergstrasse
Einfamilienhaus am Flurweg hinter Haus Siegenthaler an der Bergstrasse,
[Buhaldenstrasse 6]

Ernst Pfenninger, Betriebsleiter im Kieswerk
Einfamilienhaus im Lee, an der mittleren Rebstrasse [heute: Leestrasse 23],

Gustav Meierhofer-Meier (Mesmerjokobe)
Einfamilienhaus an der untern Rebstrasse im Lee
[heute: Trottenstrasse 13],

Ernst Bösiger, Waldarbeiter
Innen-Ausbau im früheren Haus von Fritz Baltisser im Bühl,

Weiacher Kies A.G. Weiach
Erstellen eines Flusswasserpumpwerkes am Rhein für Kieswäscherei etc. und Bau einer eigenen Trafostation.


Daneben wurden wieder einige kleinere Garage- oder Schopfanbauten ausgeführt, nämlich:

Hans Schenkel-Albrecht Oberdorf
Siloüberdachung an der Winkelstrasse

W. Wagners Erben zum "Sternen"
Garageanbau am bestehenden Schopf,

E. Schenkel-Perathoner Kellen
Holzschopf nördlich des Wohnhauses,

Auch im Kieswerk hinten wird vorweg erweitert und gebaut, z.B. ein Verwaltungsgebäude, eine Kiesaufbereitungsanlage u.a.

Das Werk gedenkt nächstens über das Werden und Wachsen der Kies A.G. eine eigene illustrierte Schrift herauszugeben.
»

Damit sind dann auch die wirklich epochalen Baumassnahmen erwähnt, welche Weiach in den darauffolgenden Jahrzehnten stark beeinflusst haben. Erscheinungsbild, Steuerfuss, Image im weiteren Umkreis. Alles wandelte sich – und das neue Kieswerk trug entscheidend dazu bei – architektonisch durch die eigenen Bauten und durch Kiesentschädigungen an Private und Gemeinwesen, die das Geld ihrerseits wieder in Umlauf brachten.

Bei der illustrierten Schrift handelt es sich übrigens um den im ockernen Farbton der Kieswagen gehaltenen Band, vgl. WeiachBlog Nr. 986.   

Quelle
  • Zollinger, W.: Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1962. Weiach, Sommer 1963 – Bl. 22 verso u. 23 recto. [Original in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach 1962].
  • Brandenberger, U.: Das «Weiacher Kies»-Buch von 1963. WeiachBlog Nr. 986, 11. Februar 2011.

Sonntag, 17. März 2024

Zur Bildung des heutigen Dorfkerns im Mittelalter

Entscheidend für die Dorfentstehung am heutigen Standort des alten Dorfkerns dürfte die mittelalterliche Epoche in der ersten Hälfte des 13. Jahrhundert sein, in der Eglisau (durch die Freiherren von Tengen), Kaiserstuhl und Regensberg gegründet wurden.

Städtebau war damals mega-angesagt, ganz einfach deshalb, weil man als Hochadeliger nur so wirtschaftlich mithalten konnte. Wer da nicht mitmachte, der hatte gegen aufstrebende Städte wie Zürich schon verloren. Die neue Art von Ökonomie krempelte auch das Umland der neugegründeten städtischen Siedlungskerne völlig um, es entstand die Dreifelderwirtschaft, in Weiach mit den Zelgen zur Stadt (Kaiserstuhl), zum Hard und zum Berg (wie sie in späterer Zeit genannt wurden).

Als die alten Adelsfamilien noch Grundeigentümer waren

Noch zu Zeiten der Freiherren von Wart (Mitbegründer von Kaiserstuhl und Eigentümer von Rechten in Weiach bis 1295) waren schriftliche Aufzeichnungen nicht so entscheidend, wenn ein persönliches Unterstellungsverhältnis zwischen den leitenden Angestellten und/oder Pächtern und dem (in diesem Fall hochadeligen) Herrn bestand. Im Fall der von Wart ist es auch gut möglich, dass deren Urkunden und weitere Aufzeichnungen bei der Zerstörung ihrer Burgen untergingen. Dieser Burgenbruch war die Rache der Habsburger nach dem Mord an einem der ihren, König Albrecht I., am 1. Mai 1308 (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 102).

Nun wurden die ehemaligen Herrenhöfe aber sozusagen zu von unabhängigen Dritten betriebenen Profitcenters umgebaut. Diese Höfe mussten (neben dem variablen Zehnten) einen gewissen schriftlich fix festgelegten Ertrag abliefern, den man per Verbriefung auch auf andere Eigner übertragbar machte. Deshalb haben wir ab dieser Zeit schriftliche Quellen zur Verfügung, denn solche Wertpapiere liess man nicht nur von dem als Notariat fungierenden Dorfgericht aufsetzen, sondern bewahrte sie dann natürlich entsprechend sorgfältig auf.

Zelgensystem führt zu Verdichtung der Bauentwicklung

In den Zelgen wurde von den Eigentümern der Wertpapiere darauf geachtet, dass der Ertrag möglichst hoch ausfiel (besonders die Zehntenherren hatten da ein Interesse dran). Man musste deshalb auf Feldwege verzichten, was nur dank Flurzwang, d.h. enger Abstimmung zwischen allen Beteiligten bei Aussaat und Ernte, möglich war. So ist die Dorfgemeinde letztlich aus einer wirtschaftlichen Schicksalsgemeinschaft entstanden. Denn ohne erspriessliche Zusammenarbeit ging es allen schlechter.

Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass bereits die Freiherren von Wart (die den Fronhof in Kellen sowie Twing und Bann über den Dorfteil am Mülibach innehatten) mit anderen Grundherren, bspw. den Freiherren von Regensberg (bis 1281) oder den Herren von Kloten (beide verkauften Landwirtschaftsbetriebe in Weiach ans Kloster Oetenbach in der Stadt Zürich; vgl. WeiachBlog Nr. 1309) übereingekommen waren, die Hofstätten und damit die Wohnhäuser in einem separaten, eng umgrenzten Gebiet zu konzentrieren, auch wenn dies weitere Wege zu den Bewirtschaftungseinheiten erforderte. Die Verdichtung war genauso gewollt, wie sie es heute staatlicherseits mit dem Trend zu Mehrfamilienhäusern ist.

Zu Beginn nur vier Höfe

Diese Ursprünge ihres Siedlungsgebiets waren den Weiachern vor drei Jahrhunderten in groben Zügen bekannt. Nur so ist es zu erklären, dass der damalige Pfarrer Wolf (Epitaph in der Kirchenmauer, vgl. WeiachBlog Nr. 193) in seinem 1735 erstellten «bericht von dem wahrhafften und eigentlichen zustand und beschaffenheit der gemeind Wyach» (StAZH A 135.4 Nr. 164) ausführt, anfänglich habe das Dorf Weiach nur aus vier Höfen bestanden und habe «vil hölzer und Wälder, aber nit vil güter» gehabt. [Mit Gütern sind die landwirtschaftlich genutzten Flächen gemeint.] Wegen der starken Zunahme der Bevölkerung sei dann aber über die Jahrhunderte hinweg viel Wald gerodet worden, und gegenwärtig bestehe Mangel an Holz. Viele Einwohner seien «wegen mangel der güteren und lebens‑mittlen» gezwungen gewesen, «in vilerley länder» zu ziehen (vgl. u.a. WeiachBlog Nr. 1928).

Vier Höfe bedeutet auch: Es gab ursprünglich vier Grossgrundbesitzer. Und diese bestimmten, was mit ihrem Land zu geschehen hatte. Der Flurzwang hielt das Dorf baulich in engen Grenzen. Er verhinderte die Entstehung von Aussiedlerhöfen, wie dem Ofen. Diese sind erst nach dem Ende des Ancien Régime entstanden, nachdem die Zelgen und mit ihnen der Flurzwang aufgehoben worden waren.

Literatur

  • Weibel, Th.: Historische Kurzbeschreibungen der Siedlungen im Neuamt. Zürich 1995 – Anm. 468.

Samstag, 16. März 2024

Geteilte Niedergerichtsbarkeit bereits im 14. Jahrhundert

Die Gerichtsherrschaft Weiach war ein Stachel im Fleisch des Zürcher Stadtstaates. An vielen anderen Orten gelang es den Zürchern über die Jahrhunderte hinweg, nach dem Hochgericht (der Landeshoheit) auch noch das Niedergericht (mit limitierter Bussenkompetenz) an sich zu ziehen. In Weiach hingegen behaupteten auswärtige Gerichtsherren bis zum Ende des Ancien Régime ihre Position. 

Deshalb hatte Weiach auch bis 1798 ein eigenes Dorfgericht. Den bisher ältesten bekanntgewordenen Hinweis auf dieses Dorfgericht verdanken wir Thomas Weibel (SSRQ ZH NF II/1, Nr. 193 Anm. 3), der aus dem Original wie folgt zitiert:

«Dis beschach ze Wiiach, da ze gegen waren:» (Quelle: StAZH C II 6, Nr. 769 vom 10. November 1352). 

Nach dieser Angabe des Gerichtsorts folgen die Namen der Zeugen, wobei hier allenfalls auch die Angehörigen der Richterbank aufgeführt sind, denn es sind ein paar Wiiacher dabei. 

Im November 1352 gab es zwei Gerichtsvorsitzende

Wo man bei Weibels Anmerkung noch zum Schluss kommen kann, dass immer nur ein Gerichtsvorsitzender die Leitung innehatte, da wird man bei der Lektüre des Regests (kurze Inhaltsangabe) in der offiziellen Sammlung der Urkundenregesten des Zürcher Staatsarchivs (1336-1460) eines Besseren belehrt: 

«Cuonrat Vogt, Schultheiss von Kaiserstuhl (Keyserstuol), sitzt im Namen des Bischofs Johans von Konstanz neben Johans Omo, Bürger von Kaiserstuhl und Vertreter des Freiherren von Tengen, zu Gericht [...]»  (URStAZH Bd. 1, Nr. 943) 

Da sitzt also ein Vertreter des Fürstbischofs, der gleichzeitig Kaiserstuhler Bürgermeister ist. Und direkt neben ihm sitzt ein anderer Kaiserstuhler Bürger, der einen Angehörigen des Hochadels vertritt!

Der alte Adel hält noch die Stellung

Die Herren von Tengen sind aus frühmittelalterlichem Adel. Sie waren mit viel Allodialbesitz ausgestattet, der insbesondere im heutigen Zürcher Unterland, im Schaffhausischen und im süddeutschen Hegau lag. Allod bedeutet: Das Land gehörte ihnen direkt, es war kein Lehen, das sie dem König verdankten und ihnen wieder entzogen werden konnte. Schon allein das zeigt den herausragenden Rang dieser Adelsfamilie, der einige Historiker attestieren, dass sie ihre Stellung noch aus der Karolingerzeit habe. Allerdings waren sie (wie viele andere Hochfreie in diesen Jahren) im Spätmittelalter bereits auf dem absteigenden Ast und mussten ihre Besitzungen nach und nach verkaufen.

Darstellung aus Karl Christian Sachs' Artikel von 1974 (S. 5; vgl. Quellen und Literatur)
Auf der Karte fehlt Schwarzwasserstelz, da Sachs den Ort Füsibach (= Fisibach) nicht zuordnen konnte (vgl. S. 4).

So ging beispielsweise 1363 das Schloss Schwarzwasserstelz (das auf einer Rheininsel am linken Ufer unterhalb Kaiserstuhl thronte) mit der Gerichtsherrschaft über Fisibach von den Herren von Tengen an den Fürstbischof von Konstanz.

Zwei Gerichtsherren mit gleichen Anteilen?

Völlig im Dunkeln liegt, ob die Anteilsrechte an der Gerichtsherrschaft Weiach gleich gross waren (wie es z.B. im 16. Jahrhundert der Fall war). Ebensowenig wissen wir darüber, wie die Herren von Tengen an diesen Gerichtsherrschaftsanteil gekommen sind. Es ist also nicht bekannt, ob sie (oder andere Hochadelige, wie bspw. die in Weiach bis 1295 begüterten Freiherren von Wart) einst das ganze Niedergericht über unser Dorf innehatten und später einen Teil davon an den Fürstbischof abtreten mussten, oder ob sie umgekehrt vom Fürstbischof als Co-Gerichtsherr akzeptiert wurden (wobei letzterer Verlauf als unwahrscheinlicher angenommen werden muss). 

Wie man in späteren Jahrhunderten anhand von vielen Urkunden feststellen kann, trifft dieses zweite Modell aber auf die Schaffhauser Patrizierfamilie Heggenzer zu. Sie waren zu einer Art bürgerlicher Nachfolger der Ministerialadeligen in Diensten des Fürstbischofs avanciert und konnten sich eine Hälfte des Niedergerichts über Weiach sozusagen als Geldanlage sichern, als ihr Dienstgeber wieder einmal dringend bare Finanzmittel brauchte. Wann dies der Fall war? Auch das liegt im Dunkeln. 

Bekannt ist jedoch, dass nach dem Aussterben der Heggenzer im Mannesstamm (im Jahre 1587) deren Erben, die Herren von Landsberg, im Jahre 1605 ihre Hälfte für 612 Gulden an den Fürstbischof veräussert haben (vgl. SSRQ ZH NF II/1, Nr. 188). Spätestens seit dieser Zeit gab es nur noch einen Gerichtsvorsitzenden. Den des Fürstbischofs.

Quellen und Literatur

  • Sachs, K. Ch.: Vom Herkommen der Edelfreien von Tengen. In: Küsnachter Jahrheft 1974 – S. 3-10.
  • Urkundenregesten des Staatsarchivs des Kantons Zürich 1336-1460. 7 Bände. Zürich, 1987-2007. Band 1: 1336-1369. Zürich 1987 (Brupbacher, D.; Eugster, E.)
  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt. Aarau 1996 – S. 439. (SSRQ ZH NF II/1, Nr. 193 Anmerkung 3)
  • Walliser. P.: Allod. In: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 04.06.2002.
  • Brandenberger, U.: Die älteste Erwähnung des Weiacher Dorfgerichts. WeiachBlog Nr. 1752, 28. September 2021.

Freitag, 15. März 2024

Erster Weiacher Viehmarkt 1877. Nur für sportliche Käufer!

Im Artikel von gestern Donnerstag wird behauptet, die Tradition mit den Viehmärkten auf Weiacher Boden habe sich ab 1877 entwickelt. Hier wird der Beweis nachgeliefert.

Am 5. Juli 1877 erschien das nachstehend abgebildete Inserat in der Neuen Zürcher Zeitung. Darin kündigt der Gemeinderat Weiach ehrerbietig an, ihm sei «von Seite der hohen Regierung» bewilligt worden, jährlich vier Viehmärkte zu organisieren. Abgestimmt auf die bereits bestehenden Termine sollten drei dieser vier Markttage jeweils auf den zweiten Donnerstag fallen: im Frühling, Sommer und Winter. Nur der Herbsttermin wurde auf den ersten Dienstag im September gelegt.

Marktplatz beim Gasthof Sternen

Zum Veranstaltungsort heisst es im Inserat: «Der Marktplatz befindet sich vorüber dem Gasthof zum Sternen, und ist derselbe nur 7 Minuten von der Eisenbahnstation Weiach-Kaiserstuhl entfernt.» 

Damals verlief die Hauptstrasse noch in einer scharfen Kurve nahe den heutigen Einmündungen von Büelstrasse und Chälenstrasse in die Stadlerstrasse am «Sternen» vorbei, d.h. es gab den Sternenparkplatz noch nicht. Wenn man sich diese Platzverhältnisse vergegenwärtigt, dann wird klar, dass der Viehmarkt auf einer der Wiesen nördlich der damaligen Strasse abgehalten wurde, wohl etwa dort, wo heute nur noch asphaltierter Raum ist.

Und wie es die Höflichkeitsformen vor 150 Jahren geboten, schliesst der Text mit: «Käufer und Verkäufer werden zum Besuche auf's Freundschaftlichste eingeladen.»


Eilmarsch angesagt

7 Minuten von der Eisenbahnstation bis zum Sternen? Da muss man sich schon ziemlich sputen. Und ein Eilmarsch-Tempo anschlagen. Mit gemütlichen 4 km/h wird das nichts. Dann hat man für diese Strecke von rund eintausend Metern eine Viertelstunde. Wer das vollmundige Versprechen des Gemeindraths für bare Münze nimmt, der muss 8375 Meter pro Stunde marschieren können.

In Rekordzeit vom Antrag zur Bewilligung

Dass der Gemeinderat tatsächlich das Plazet der Regierung hatte, kann man übrigens in einem Regierungsratsbeschluss (RRB) nachlesen. In der Archivdatenbank des Zürcher Staatsarchivs findet sich sowohl der Scan des handschriftlichen Originalprotokolls (ein Musterbeispiel schon fast kalligraphisch zu nennender Schreibkunst), als auch die Transkription:

«Der Gemeindrath Weiach stellt mit Eingabe vom 15. Jenner das Gesuch, es möchte der Gemeinde bewilligt werden, jährlich 4 Viehmärkte abzuhalten. Zur Begründung desselben führt der Gemeindrath an: 

In der Gemeinde Weiach und deren Nachbargemeinden werde vorzüglich Viehzucht betrieben; um nun letztere mit Vortheil betreiben zu können, sei ein größerer Absatz unbedingt nothwendig, welcher hauptsächlich durch Viehmärkte erzielt werde. Für Abhaltung von Märkten eigne sich die Gemeinde sehr gut, indem dieselbe kaum 10 Minuten von der Eisenbahnstation entfernt sei. Als Tage, an welchen die Märkte abgehalten werden sollen, bezeichne der Gemeindrath der 2. Donnerstag im März, der 2. Donnerstag im Juli, der erste Dienstag im September und der zweite Donnerstag im Dezember.

Der Bezirksrath Dielsdorf findet in seinem Gutachten vom 16. Februar die angeführten Gründe vollkommen richtig und beantragt deshalb Entsprechung des Gesuches.

Der Regierungsrath, nach Einsicht eines Antrages der Direktion des Innern, beschließt:

1. Der Gemeinde Weiach wird die Bewilligung ertheilt unter Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften 4 Viehmärkte und zwar je den 2. Donnerstag im März, den 2. Donnerstag im Juli, den 1. Dienstag im September und den 2. Donnerstag im Dezember abzuhalten.

2. Mittheilung an den Bezirksrath Dielsdorf & den Gemeindrath Weiach, an letztern durch Zustellung einer Bewilligungsurkunde.»

Ist das nicht bemerkenswert? Vom Antrag bis zum Gutachten des Bezirksrats Dielsdorf verstrich gerade einmal ein einziger Monat. Von diesem 16. Februar bis zum Tag des Regierungsratsbeschlusses am 24. Februar nur 8 (!) Tage, Wochenende inklusive. Von wegen «Staatsmühlen mahlen langsam». Da kann sich die heutige Bürokratie punkto speditiver Behandlung noch eine Scheibe abschneiden.

Gute Vorbereitung ist das A und O

Schon deshalb sollte man diese Bewilligungsurkunde, sofern sie im Gemeindearchiv noch aufzufinden ist, eigentlich fast einrahmen und zusammen mit dem RRB an die Wand des gemeinderätlichen Sitzungszimmers hängen. Darüber der Satz: «Gute Vorbereitung ist das A und O effektiver Regierungstätigkeit». Denn daran, dass dieser Antrag so sec durchgegangen ist, ist der Gemeinderat Weiach nicht unschuldig. Der hat nämlich seine Hausaufgaben in Recherche und Vorabklärungen mustergültig erledigt. An die grosse Glocke hängen muss man das nicht. Aber es muss einem bewusst sein.

Quellen

Donnerstag, 14. März 2024

Am zweite Dunschtig im März isch z'Weych Vehmärt

Traditionell seit 1877 wurde in Weiach jeweils am zweiten Donnerstag im März ein Viehmarkt abgehalten. Die Ankündigung dazu fand sich im Jahr 1904 sogar in der Neuen Zürcher Zeitung:


Man sieht, dass die Viehhändler in unserer Umgebung ziemlich zu tun hatten. So standen im März vor 120 Jahren nacheinander auf der Liste: Zürich-Affoltern am 7.3., Kloten 9.3., Weiach 10.3., Zurzach 14.3., Regensberg und Rorbas 15.3., Rafz 19.3., Eglisau 21.3, Embrach 22.3., Dielsdorf 23.3. und Niederglatt am 29.3.

Über den Viehmarkt vom 1. März 1904 in Wil SG berichtet die NZZ gleich anschliessend an obigen Ausschnitt, er sei «schwach befahren» gewesen und: «Es galten: Kühe 340–740 Fr., Rinder 260–620 Fr. und Ochsen 240 bis 670 Fr.». 

Dass das recht viel Geld war, zeigt die Umrechnung von Swistoval.ch (2009 ist das neueste verfügbare Zieljahr):

Quelle

Mittwoch, 13. März 2024

Als die Löschwasserversorgung das Bahnhofgebiet erreichte

Am heutigen Datum vor 100 Jahren hat der Regierungsrat des Kantons Zürich einen Beitrag an die Erweiterung der Löschwasserversorgung im Gebiet um den Alten Bahnhof Weiach–Kaiserstuhl genehmigt. 24 Prozent der anrechenbaren Kosten von rund 25'000 Franken gingen auf die Staatsrechnung.

Mit der 1922 abgeschlossenen Verlängerung der Haus- und Löschwasserversorgung aus dem Jahre 1877 vom Weiacher Dorfkern nach Nordwesten war auch die Installation von acht Hydranten verbunden, wie der Regierungsratsbeschluss verrät.

«... in keiner Weise gegen Brandschaden geschützt ...»

Die Nordostbahn hatte in den 1870ern zur Versorgung des Stationsgebäudes einen eigenen Sodbrunnen gegraben und wurde für diese teure Investition in den Zeitungen getadelt (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 31). 

Viel mehr als das Wasser aus eigenen Fassungen gab es in diesem Gebiet nicht. Im Brandfall war das ein Problem. Die kantonale Gebäudeversicherung hat deshalb mit immer grösserem Nachdruck den Ausbau des Löschwassernetzes gefordert.

Nahe dem 1876 in Betrieb genommenen Stationsgebäude war nämlich seit 1904 eine grosse Sägerei entstanden (die heutige Holz Benz AG).

Besonders akut wurde das Brandschutzthema, als dann 1921 auch noch das Fabrikgebäude vis-à-vis der Station in Betrieb ging. Dort war eine Schäftenäherei des Schuhherstellers Walder in Brüttisellen eingerichtet worden.

Im Jahre 1923 arbeiteten in der «Schäfti» laut Archivalien der Eidg. Fabrikinspektorate 67 Personen (viele davon Grenzgängerinnen aus dem benachbarten südbadischen Gebiet).

Diese Mitarbeiter und Gebäudewerte von über einer halben Million Franken konnten ab 1922 im Brandfall besser geschützt werden.

Befehl: Bestückung Schlauchdepot ergänzen!

Der Wasserdruck vom Reservoir an der Bergstrasse her war zwar nicht berauschend. Der Bericht der kantonalen Gebäudeversicherung befand dennoch die Leistungsfähigkeit der neuen Anlage als «den Verhältnissen entsprechend» ausreichend. Verlangte aber die Ergänzung des Schlauchdepots der Weiacher Feuerwehr beim Stationsgebäude um mindestens einen weiteren Schlauch.

Hier der Beschluss im vollen Wortlaut:



Quellen und Literatur

  • Wasserversorgung. Regierungsratsbeschluss vom 13. März 1924. Signatur: StAZH MM 3.38 RRB 1924/0564
  • Eidg. Fabrikinspektorate. Sichtkarten von unterstellten industriellen Betrieben. Signatur: CH-BAR E7172B#1967/142#1547*.
  • Brandenberger, U.: Ein Sodbrunnen stösst sauer auf. 125 Jahre Haus- und Löschwasserversorgung Weiach (1877–2002) Teil 2. Weiacher Geschichte(n) Nr. 31. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Juni 2002 – S. 13.

Dienstag, 12. März 2024

Fristgerecht eingereicht, oder nicht?

Am 13. Februar 2024 ist die von der Bundesgerichtskanzlei gesetzte Frist zur Einreichung von Stellungnahmen in der Angelegenheit Beschwerde Stimmrechtssache «Zukunft 8187» abgelaufen (Schreiben vom 22. Januar 2024 in Anwendung von Art. 102 Abs. 1 BGG). Damit liegt dem Bundesgericht in Lausanne der vom Prozedere her für den Regelfall vorgesehene Aktenbestand vor (Art. 102 Abs. 3 BGG). Ob das reicht, um zu einem Schlussentscheid zu kommen, wird man sehen.

Während der Wartezeit, die angesichts der notorischen Arbeitsüberlastung des Gerichts auch noch ein paar weitere Monate dauern kann, sollen hier einige Fragen beantwortet werden, die am 22. Januar aufgeworfen worden sind (vgl. WeiachBlog Nr. 2030).

Ja, eingereicht ist sie...

Eingereicht ist die Beschwerde. Das steht fest. Mit Poststempel vom 19. Januar 2024, sagt das Bundesgericht (laut Mitteilung an die Beschwerdegegner vom 22. Januar). 

Die Eingabe des Anwalts der Gemeinde hat von der Bundesgerichtskanzlei auch einen offiziellen Aktenvermerk erhalten: 1C_43/2024--Act. 1-. Das geht aus den Rückmeldungen aus Lausanne hervor, die der Redaktion WeiachBlog elektronisch vorliegen (siehe Bild unten).

Das Bundesgericht muss nun darüber befinden, ob die Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich auch fristgerecht eingereicht worden ist. Und damit gleichzeitig, inwiefern auf die Beschwerde eingetreten wird.

Konkret geht es um die Frage, ob die in Art. 46 Abs. 1 Bst. c BGG über Weihnachten und Neujahr (vom 18. Dezember bis 2. Januar) vorgesehenen Gerichtsferien auch für diesen Fall «Zukunft 8187» gelten, oder eben doch Abs. 2 desselben Artikels zur Anwendung kommt, der diesen Fristenstillstand für bestimmte, abschliessend genannte Sachbereiche explizit ausschliesst.

... aber auch fristgerecht eingereicht?

Der Anwalt der Gemeinde Weiach, Lorenzo Marazzotta, behauptet die fristgerechte Einreichung in seinem Schriftsatz ans Bundesgericht unter Verweis auf Art. 46 BGG (denselben, auf den auch WeiachBlog Nr. 2030 Bezug nimmt). 

Und das trotz der Datierung seiner Eingabe auf den 19. Januar. Aus Sicht der Gemeinde Weiach war die Frist da noch nicht abgelaufen, da sie (laut mündlicher Aussage des Gemeindeschreibers) mit dem Fristenstillstand von 16 Tagen rechnen. Anderer Ansicht ist der Verfasser dieser Zeilen. Weil es sich um eine Stimmrechtssache handelt, war zu diesem Zeitpunkt die gesetzliche Frist bereits bis zu einer Woche abgelaufen, letzter möglicher Termin wäre der 12. Januar gewesen. Sollte die Zustellung im Gemeindehaus nicht schon am 13., sondern erst am 14. Dezember 2023 erfolgt sein, dann würde sich die Frist gemäss Art. 45 Abs. 1 BGG bis am 15. Januar 2024 erstrecken, da dann der letzte Tag der Frist ein Samstag wäre. Aber auch dann hätte RA Marazzotta die Eingabe zu spät eingereicht. Denn massgebend ist der Poststempel: 19. Januar (Art. 48 Abs. 1 BGG).

In einem solchen Fall kann gemäss dem am 1. November 2015 in Kraft gesetzten Wortlaut von Art. 46 Abs. 2 BGG (damals noch nicht in Auflistungsform; in der Fassung vom 1. Januar 2021 neu in Bst. c gesetzt) eigentlich nur NICHTEINTRETEN beschlossen werden (vgl. die chronologische Auflistung der jeweiligen Wortlaute im Anhang 1 zu diesem Artikel, s. unten).

Nachfolgend wird dargelegt, weshalb die Wahrscheinlichkeit für gerade diesen Entscheid Nichteintreten und damit implizit Abweisung der Beschwerde infolge Verletzung von gesetzlichen Fristen und Nichtbeachten des Friststillstands-Ausschlusses sehr hoch ist.

A. Keine Differenz bei der Kategorisierung des Falles

Rechtsanwalt Marazzotta selber hat die Angelegenheit in seiner Beschwerde-Eingabe ans Bundesgericht als Stimmrechtssache bezeichnet, womit zumindest in dieser Einordnungsfrage keinerlei Meinungsverschiedenheiten auftreten sollten. Dass es eine ist, werden wohl weder der ursprüngliche Rekurrent, noch der Bezirksrat Dielsdorf, das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich oder das Bundesgericht bestreiten.

B. Keine Fristerstreckung möglich

Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hat seinem Entscheid die Rechtsmittelbelehrung beigefügt, die Beschwerdefrist dauere 30 Tage. Das ist korrekt, da es sich nicht um einen Spezialfall handelt, der in den Absätzen 2 bis 7 des Art. 100 BGG aufgeführt ist.

Damit gilt der Normalfall: «Die Beschwerde gegen einen Entscheid ist innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen.» (Art. 100 Abs. 1 BGG)

Weil diese 30 Tage nicht von einem Richter festgelegt wurden, sondern so im Gesetz stehen, findet auch der im selben Bundesgerichtsgesetz im Abschnitt Fristen stehende Grundsatz Anwendung: «Gesetzlich bestimmte Fristen können nicht erstreckt werden.» (Art. 47 Abs. 1 BGG)

Rechtsanwalt Marazzotta konnte also auch nicht (z.B. aufgrund von Arbeitsüberlastung in seiner Kanzlei, o.ä.) eine bewilligungsfähige Erstreckung beantragen, wie das beispielsweise in Strafprozessen gang und gäbe ist. Nach der oben zitierten Bestimmung von Art. 47 Abs. 1 müsste das Bundesgericht sie ihm verweigern.

C. Beschleunigungsgebot

Wenn es um Wahlen und Abstimmungen geht, dann gilt das Beschleunigungsgebot. Dies schlägt sich nicht nur bei den Gerichtsferien (Art. 46 BGG) nieder, sondern auch in den z.T. sehr kurzen Fristen nach Art. 100 Abs. 2-7 BGG.

Im Grundsatz ist dieses Gebot bereits in der Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001 (Parlaments-Geschäftsnummer 01.023), also dem Antrag des Bundesrates an die beiden Kammern des Parlaments, festgehalten: 

«Die bisher in die Zuständigkeit des Bundesrates fallenden Abstimmungsbeschwerden unterliegen aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung direkt dem Bundesgericht.»  (s. BBl 2001 4241)

D. Lausanne monierte gesetzgeberisches Versehen

In einer weiteren Botschaft ans Parlament schreibt der Bundesrat (bzw. in dessen Auftrag die Bundeskanzlei) zum Inhalt der Vorlage im Management Summary, der Übersicht:

«Für den Fall von Wahlbeschwerden soll ein gesetzgeberisches Versehen behoben werden, welches vom Bundesgericht angezeigt worden ist: Wahlbeschwerden sind vom Rechtsstillstand in den Gerichtsferien nicht weniger auszunehmen als Schuldbetreibungs- und Konkurssachen.» (s. BBl 2013 9219)

Letztere waren in Art. 46 Abs. 2 BGG bereits aufgenommen (dort beschränkt auf die sog. Wechselbetreibung). Neu brachte die Bundeskanzlei in die Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte – und um diese ging es in dieser Vorlage mit Nr. 13.103 – alle Arten von Stimmrechtssachen ein (also neben Wahlen auch Volksabstimmungen).

E. Parlament billigte die Änderung

Wie man den sog. Fahnen (so nennt man die Gegenüberstellung von alten und neuen Formulierungen in nebeneinandergestellten Spalten, inkl. der Abänderungsvorschläge, die von Parlamentariern im Verlauf der Beratungen eingebracht wurden), wie man also diesen Fahnen entnehmen kann, hat weder der National- noch der Ständerat dieses Vorhaben beanstandet (im Plenum diskutiert wurde es jedenfalls nicht, vgl. Amtl. Bull.). Wenig verwunderlich: Wer hat schon etwas gegen Beschleunigung, wenn es um so etwas Wichtiges wie Wahlen und Abstimmungen geht?

F. Kommentar BGG: Nichtbeachtung Friststillstands-Ausschluss

In der über 2000 Seiten starken 3. Auflage des sog. Basler Kommentars zum Bundesgerichtsgesetz, der wie eine Bibel auf dünnstes Papier gedruckt ist, wird zum Artikel 46 BGG explizit festgehalten, den Wegfall der Gerichtsferien in den nach Absatz 2 vorgesehenen Bereichen zu ignorieren führe zu einem Nichteintretens-Entscheid:

«Die Nichtbeachtung des Friststillstand-Ausschlusses führt im bundesgerichtlichen Verfahren zu Nichteintretensentscheiden wegen Fristversäumnisses.» (Gerold Steinmann/Adrian Mattle: Art. 46 BGG N 16c. In: Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, 3. Auflage, 2018)

Die Fussnote 126 zu obiger N 16c lautet: «BGer, I. ÖRA, 19. 10. 2017, 1C_26/2017, ZBl 2018, 133 (mit kritischem Kommentar von G. Biaggini); I. ÖRA, 16. 1. 2017, 1C_353/2016; I. ÖRA, 13. 10. 2016, 1C_420/2016; I. ÖRA, 8. 2. 2016, 1C_7/2016.»

Da Steinmann et al., die Verfasser dieses Abschnitts zum Fristenstillstand, beide ehemalige bzw. aktive Bundesgerichtsschreiber sind, ist von fundierten Kenntnissen der einschlägigen Bundesgerichtsentscheide auszugehen, insbesondere auch der unpublizierten.

Nachstehend Auszüge aus zweien der in Fussnote 126 erwähnten Entscheide. Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Bundesgerichtsentscheid 1C_420/2016.

BGer 1C_420/2016. Urteil vom 13. Oktober 2016

Bei dieser Stimmrechtsbeschwerde ging es um die Bewilligung eines Objektkredites für den Ausbau des Aabachs in Uster durch den Zürcher Kantonsrat. Die Erwägung 3.2 der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts lautet wie folgt: 

«Die Beschwerdeführer halten dafür, es gelte der Fristenstillstand gemäss Art. 46 Abs. 1 lit. b BGG, wonach gesetzlich oder richterlich bestimmte Fristen vom 15. Juli bis und mit dem 15. August stillstehen. Diese Vorschrift gilt indessen nach Art. 46 Abs. 2 BGG (in der Fassung vom 26. September 2014, in Kraft seit 1. November 2015) nicht in Verfahren betreffend aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Verfahren sowie in der Wechselbetreibung, für Stimmrechtssachen (Art. 82 lit. c) sowie auf den Gebieten der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und der internationalen Amtshilfe in Steuersachen. Die Beschwerdeführer gehen - wie erwähnt - selbst davon aus, dass es sich vorliegend um eine Stimmrechtssache im Sinne von Art. 82 lit. c BGG handelt (Beschwerde S. 1 und 2). Der Fristenstillstand kommt daher nicht zur Anwendung (s. dazu auch Urteil 1C_7/2016 vom 8. Februar 2016, E. 3). Dass die Beschwerdeführer im Hinblick auf die Einreichung ihrer Beschwerde nicht die aktuell geltende Fassung des BGG, wie erwähnt in Kraft bereits seit 1. November 2015, konsultiert haben, haben sie selbst zu vertreten.

Demzufolge ist die erst am 12. September 2016 der Post übergebene Beschwerde klarerweise verspätet eingereicht worden, nachdem die Beschwerdeführer vom angefochtenen Beschluss bereits am 15. Juli 2016 Kenntnis erhalten haben (Zeitpunkt der Veröffentlichung im Amtsblatt, vorstehend E. 1).»

BGer 1C_26/2017, Urteil vom 19. Oktober 2017

Ins gleiche Horn stösst dieselbe I. öffentlich-rechtliche Abteilung in ihrer Erwägung 1.3 in der Frage Referendum bei Pistenveränderungen, wo ebenfalls gegen einen Beschluss des Zürcher Kantonsrats Beschwerde erhoben wurde:

«Bei der vorliegend eingereichten Beschwerde handelt es sich um eine Beschwerde in Stimmrechtssachen im Sinne von Art. 82 lit. c BGG (vgl. E. 1.1 hiervor). Nach Art. 46 Abs. 2 BGG gilt der Fristenstillstand demzufolge nicht. Der eindeutige Wortlaut von Art. 46 Abs. 2 BGG lässt eine andere Auslegung nicht zu, namentlich nicht, dass der Fristenstillstand bei gewissen Beschwerden in Stimmrechtssachen gemäss Art. 82 lit. c BGG doch zu berücksichtigen wäre.»

Nun noch zu ein paar Nebenaspekten:

G. Ist nur die nationale Ebene gemeint? 

Im BGG ist bezogen auf Art. 46 Abs. 2 Bst. c auch keine Unterscheidung zwischen nationaler und kantonaler bzw. kommunaler Ebene zu erkennen. 

Man könnte zwar argumentieren, eine solche Unterscheidung sei anzunehmen, da sich das Bundesgesetz vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (BPR) bei dessen Novellierung auch die Änderung von Art. 46 Abs. 2 BGG ins Bundesgerichtsgesetz geschrieben wurde, nur auf Wahlen und Abstimmungen auf nationaler Ebene beziehe. Und daher die unteren Staatsebenen (Kantone und Gemeinden) auch nicht mitgemeint seien. 

Dann würde sich aber die Frage stellen, weshalb in Art. 46 nicht explizit festgehalten wird, dass nur Stimmrechtsangelegenheiten auf nationaler Ebene gemeint seien, zumal auch der Wortlaut von Art. 82 Bst. c BGG eine solche Einschränkung in keiner Art und Weise erkennen lässt.

Die Frage im Abschnittstitel kann jedoch klar verneint werden, wie Steinmann & Mattle im Basler Kommentar festhalten: 

«Die Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte vom 26. 9. 2014 (BPR) hat den allgemeinen Friststillstand mit einer Ergänzung von Art. 46 Abs. 2 auch für Stimmrechtssachen ausgeschlossen. Ungeachtet der Entstehungsgeschichte im Rahmen von Neuerungen zum Verfahren der Wahl des Nationalrats und der Begründung in der Botschaft bringen der Ausdruck «Stimmrechtssachen» und der Verweis auf Art. 82 lit. c zum Ausdruck, dass der Ausschluss des Friststillstands für die Gesamtheit der Beschwerden wegen Verletzung politischer Rechte gilt (Art. 82 N 79, 82 ff. und 85 ff.). Erfasst wird die eidgenössische Ebene ebenso wie die kantonale (und kommunale) Ebene, und eingeschlossen sind sämtliche möglichen Anfechtungsobjekte und Streitgegenstände.» (Gerold Steinmann/Adrian Mattle: Art. 46 BGG N 16. In: Basler Kommentar Bundesgerichtsgesetz, 3. Auflage, 2018)

H. Das Bundesgericht würde sich selber widersprechen

Wie wir unter Punkt D gesehen haben, war es das Bundesgericht selber, das die Verwaltung auf eine Lücke aufmerksam gemacht hat, die dann anfangs November 2015 geschlossen wurde. Es wäre also höchst bemerkenswert, wenn in diesem Weiacher Fall anders entschieden würde, als oben in den Abschnitten A bis G vorgezeichnet.

Verletzung der Gemeindeautonomie als höheres Rechtsgut?

Natürlich ist es dem Bundesgericht dennoch grundsätzlich unbenommen, sich anders zu entscheiden, beispielsweise weil es die im Zusammenhang mit Zukunft 8187 zu beurteilende Rechtsfrage als von so hoher Bedeutung erachtet, dass gleichzeitig der von ihm selber geforderte Fristenstillstandsauschluss samt gesetzgeberischem Willen beiseite geschoben werden müsse.

Die Gemeinde Weiach rügt im Schriftsatz ihres Rechtsanwalts die «willkürliche Anwendung von §§ 64 und 64a des kantonalen Gesetzes über die politischen Rechte»(ZH-GPR) durch das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich und moniert, dadurch sei die «von der Bundesverfassung und vom kantonalen Recht ausdrücklich gewährleistete Gemeindeautonomie» verletzt (Verweis u.a. auf Art. 50 Abs. 1 BV).

Allerdings könnte ein solcher Entscheid dann von einiger Relevanz für die juristische Fachliteratur bzw. eine kommende 4. Auflage des Basler Kommentars zum BGG sein, da diese Praxisänderung einer ausführlichen Begründung bedürfte, insbesondere, aus welchen Gründen sämtliche obenstehenden acht Erwägungen (A bis H) in diesem Fall als irrelevant zur Seite gelegt werden müssen.

On verrà

Man wird sehen, wie sich die Bundesrichter entscheiden. 

Zur Frage, ob das Abstimmungsresultat vom 18. Juni 2023 (nur 11 Stimmen Differenz zwischen den Ja- und den Nein-Stimmen) auch aus Sicht des kantonalen Gesetzgebers als knapp gelten muss, ist als Anhang 2 noch Abschnitt 1.1.2 aus der Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte beigefügt (s. unten).


Anhang 1: Formulierungen Art. 46 Abs. 2 BGG im Zeitablauf

1. Formulierung in Kraft bis 31.10.2015

«Diese Vorschrift gilt nicht in Verfahren betreffend aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Massnahmen sowie in der Wechselbetreibung und auf den Gebieten der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und der internationalen Amtshilfe in Steuersachen.

2. Formulierung in Kraft ab 1.11.2015

«Diese Vorschrift gilt nicht in Verfahren betreffend aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Massnahmen sowie in der Wechselbetreibung, für Stimmrechtssachen (Art. 82 Bst. c) und auf den Gebieten der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen und der internationalen Amtshilfe in Steuersachen. [Fn-18]

Fn-18: «Fassung gemäss Ziff. II des BG vom 26. Sept. 2014 (Nationalratswahlen), in Kraft seit 1. Nov. 2015 (AS 2015 543; BBl 2013 9217).»

3. Formulierung in Kraft ab 1.1.2021

«Absatz 1 gilt nicht in Verfahren betreffend:
a. die aufschiebende Wirkung und andere vorsorgliche Massnahmen;
b. die Wechselbetreibung;
c. Stimmrechtssachen (Art. 82 Bst. c);
d. die internationale Rechtshilfe in Strafsachen und die internationale Amtshilfe in Steuersachen;
e. die öffentlichen Beschaffungen.»


Anhang 2: Knappe Abstimmungsergebnisse

Auszug aus der Botschaft Änderung BPR, BBl 2013 9233-9234

«In den vergangenen Jahren resultierten bei eidgenössischen Volksabstimmungen einige knappe Ergebnisse (vgl. Anh. Tab. 13: 2002, 2008 und 2009). Die Resultatermittlung bei eidgenössischen Volksabstimmungen und weit mehr noch bei den Nationalratswahlen ist einem tiefgreifenden Wandel unterworfen.

Zunehmende Verstädterung und Anonymität sowie wachsende Mobilität verursachten in jüngerer Zeit vor allem in grösseren Städten Probleme bei der Rekrutierung des nötigen Milizpersonals: Mehr und mehr blieben aufgebotene Personen am Wahlnachmittag unentschuldigt dem Auszählprozedere fern. Daher sind bereits mehrere Städte zu einer Professionalisierung der Ausmittlungsverfahren übergegangen.

Dies löst nicht nur das althergebrachte Milizsystem auf, sondern liess bereits da und dort kritische Rückfragen nach der demokratischen Kontrolle zur Erhaltung des Vertrauens laut werden.

In diesen Zusammenhang ist auch die Frage einer Nachzählung von Volksabstimmungsergebnissen zu stellen: Das Bundesgericht hat zwar (aufgrund der detaillierten Verfahrensregeln) nicht für Nationalratswahlen [Anm-5: BGE 138 II 5–12 E. 3 und 4], wohl aber für Volksabstimmungen [Anm-6: BGE 136 II 132 E. 2.7] Nachzählungen bei sehr knappem Resultat auch ohne glaubhaft gemachte Unregelmässigkeiten als angezeigt bezeichnet und dem Gesetzgeber empfohlen, dies zu konkretisieren, sei es durch eine zahlenmässige Abgrenzung zwischen «knapp» und «sehr knapp» oder aber durch eine abstraktere Umschreibung. Abstrakte Umschreibungen würden das Problem nur zeitlich verschieben, und konkrete Definitionen entgehen kaum der Willkür: Die Kantone Zürich, Schaffhausen und Graubünden ziehen die Grenze bei 0,3 % Differenz, stellen aber auf eine unterschiedliche Berechnungsbasis ab. Das Bundesgericht [Anm-7: BGE 136 II 132] befand bei der Volksabstimmung über die biometrischen Pässe eine gesamteidgenössische Differenz von 0,29 % als «knapp», aber nicht «sehr knapp».

Bei eidgenössischen Volksabstimmungen ist das Normengeflecht weit weniger engmaschig als bei Nationalratswahlen (vgl. Ziff. 1.2.3, II.); äusserst knappe Volksabstimmungsergebnisse sind angesichts der möglichen Irrtumsquellen laut Bundesgericht per se mit eigentlichen Unregelmässigkeiten gleichzusetzen und erfordern eine Nachzählung, deren Voraussetzungen jedoch vom Bundesgesetzgeber festzulegen seien. [Anm-8: BGE 136 II 132 E. 2.7]»

Die oben erwähnte Regelung des Kantons Zürich ist in § 49 VPR festgelegt. Als knapp gilt ein Resultat, wenn die Ja-Stimmen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Stimmen zwischen 49.8 und 50.2 % liegt. Bei der Weiacher Abstimmung vom 18. Juni liegt demnach kein «knappes» Resultat im Sinne der Verordnung über die politischen Rechte (VPR) vor: 348 Ja bei total 685 gültigen Stimmen, d.h. 50.8 % Ja.

Quellen und Literatur

  • Niggli/Uebersax/Wiprächtiger/Kneubühler (Hrsg.): Bundesgerichtsgesetz. Basler Kommentar. 3. Auflage. Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 2018.
  • Brandenberger, U.: Bundesgericht, wir kommen! Oder doch nicht? WeiachBlog Nr. 2030, 22. Januar 2024.

Montag, 11. März 2024

Unschweizerischer Zeitraffer

Im vorangehenden WeiachBlog-Artikel (Nr. 2049) war die Rede von einem ominösen «Bohns», das sich im helvetischen Distrikt Bülach befinden muss. Also irgendwo zwischen Lägern, Rhein und der Hügelkette mit Wagenbreche und Eschenmoser, allenfalls gar im Rafzerfeld.

Pfr. Lutz hat sich diesen Namen nicht aus den Fingern gesogen. Auch in einer Publikation des bis heute bestehenden Verlags Orell Füssli steht das genau so drin. Dieses Dokument, das für die Nachwelt so etwas wie ein Reader über die ersten 30 Tage dieser Einheitsrepublik von französischen Gnaden ist, erhebt den Anspruch, Originaldokumente direkt aus den Verhandlungen der gesetzgebenden Versammlung der helvetischen Republik in Aarau abzudrucken:


Die provisorische Distriktseinteilung (noch mit Stein am Rhein)

Entweder ist der Fehler also in Aarau selber entstanden, oder der Setzer in Zürich hat sich geirrt. «Bohns» könnte durchaus ein schrecklich verschriebenes «Bachs» sein. Dieses in der Alten Eidgenossenschaft zwischen der Obervogtei Neuamt (Höfe im Thal, d.h. Thalmühle & Rüebisberg) und der Landvogtei Regensberg (eigentliches Dorf Bachs) aufgeteilte Gemeindegebiet gehörte eindeutig zum Distrikt Bülach:

«N°. XXI. Commissional-Vorschlag einer Distrikts-Eintheilung des Kantons Zürich, so wie solcher unterm 2. May von dem großen Rath gutgeheißen, und an den Senat gesendet wurde.

Der große Rath schlägt dem Senat nachfolgende provisorische Eintheilung des Kantons Zürich in Distrikte vor:»

I. Distrikt Benken (mit den heute schaffhausischen Gemeinden Stein am Rhein und Ramsen, aber schon ohne Dörflingen!) – 11000 Menschen

II. Distrikt Andelfingen (Gebiet zwischen Thur und Töss) – 11600 Menschen

III. Distrikt Winterthur (samt Gebiet östlich bis Elgg) – 15600 Menschen

IV. Distrikt Fehraltorf – 14700 Menschen

V. Distrikt Bassersdorf (zwischen Töss und Glatt bis an Eschenmoser) – 12500 Menschen 

«VI. Distrikt Bülach, enthält:

Eglisau, Weil, Rafz, Bohns, Glattfelden, Weyach, Stadel, Bülach, Niederwenigen, Schöflistorf, Steinmaur. Enthält den ganzen Landesbezirk ausserhalb dem Rhein bey Eglisau, mit der Gegend westlich dem Eschenmooser-Hügel, bis an die Lägeren und die Grenze von Baden und den Rhein; enthält circa 10900 Menschen.» 

Mit dieser Formulierung wird schon klarer als bei Lutz, dass auch das Rafzerfeld ennet dem Rhein zum Distrikt Bülach gehört.

VII. Distrikt Regenstorf  (zwischen Lägern, Limmat, Glatt und Geissberg) – 11300 Menschen

VIII. Distrikt Zürich (heutige Stadt Zürich ohne Seebach, Schwamendingen und Wipkingen) – 17500 Menschen

IX. Distrikt Mettmenstätten (Säuliamt) – 14700 Menschen

X. Distrikt Horgen (linkes Zürichseeufer bis zum Albis) – 12000 Einwohner

XI. Distrikt Meilen (heutige Goldküste) – 16300 Einwohner

XII. Distrikt Grüningen – 10100 Menschen

XIII. Distrikt Uster (mit Wetzikon, Fällanden, Schwerzenbach und Greifensee) – 10200 Menschen

XIV. Distrikt Wald – 11300 Einwohner

«Summa aller Einwohner des Kantons 179700 Menschen.» 

(Fundstelle: Tagebuch der helvetischen Republik, S. 208-213)

Man sieht, dass alle Distrikte mindestens 10'000 Einwohner haben, nur drei Distrikte (die mit den Städten Zürich und Winterthur, sowie die Goldküste) weisen mehr als 15000 Einwohner aus.

Die Gleichheit auch im Parlament abbilden

Warum diese Art der Austarierung wichtig und auch genau so gewollt war, zeigt sich an einem Erlass, der nur einen Tag zuvor vom Grossen Rat verabschiedet worden war. 

Er behandelt die Zwangsfusion der Gebiete in der Ostschweiz (ohne Thurgau und Graubünden), der Zentralschweiz (ohne Luzern) sowie des Tessins. 

Was daran besonders dreist ist? Diese Gebiete hatten sich noch gar nicht der gerade erst gegründeten Einheitsrepublik angeschlossen, wurden aber von den neuen Herren massiv unter Druck gesetzt, dies von sich aus zu tun. Konkret wurden sie mit Wirtschaftssanktionen belegt (Einfuhrsperre für Getreide aus Süddeutschland, von dem besonders die Innerschweiz abhängig war) und mit der Drohung eingeschüchtert, französische Truppen würden einmarschieren. 

Die gesetzgebende Versammlung selber wurde übrigens von französischen Truppen geschützt, die rund um Aarau mit Infanterie, Kavallerie und Artillerie zugegen waren, um jede Störung im Keim zu ersticken:

«N° XVIII. Commissional-Vorschlag einer neuen Eintheilung aller noch nicht vereinigten Kantone in Viere, so wie solcher unterm 1. May von dem großen Rath gutgeheißen, und an den Senat gesendet wurde. [...]

Der große Rath hat in Betracht gezogen, daß die Repräsentantschaft des ganzen helvetischen Volks, zwey zum größten Nachtheil des gemeinen Vaterlandes gereichende Uebel enthalte:

Erstens, weilen solche in Rücksicht der Volksmenge allzu zahlreich sey; und zweytens, daß durch die ausserordentlich auffallende ungleiche Austheilung derselben nothwendig folgen müßte, daß einerseits der Nationalschatz die Summen unmöglich würde aufbringen können, welche die Unterhaltung allzu zahlreicher Deputirten zu den gesetzgebenden Räthen und die Glieder der innern Behörden von 23 Kantonen kosten würden; anderseits aber annoch zu bedenken sey, daß die so unverhältnißmäßig vertheilten Repräsentantschaften die üble Wirkung nach sich ziehen würden, daß die Deputirten der kleinen Volkszahl gar leicht das Stimmenmehr über die größere Volksmenge der freyen Männer Helvetiens behaupten könnten.

Da nun diese politische, wider die Grundsätze der Gleichheit streitende Unordnung insonderheit bey den kleinen Kantonen auffallend ist, die bey einer nicht zahlreichen Bevölkerung größtentheils diejenigen rauhen Gegenden bewohnen, wo die undankbare Erde keinen Beytrag zu dem gemeinen Gut gewähren kann, also daß die wider alles Verhältniß streitende Repräsentantschaften dieser Orte aus den Beyträgen der andern Kantone müßen besoldet werden; so führen diese Betrachtungen zur Ueberzeugung, daß kein anderes Mittel sey dem Uebel vorzubeugen, als die Zahl der Kantone zu vermindern, und das ganze Vaterland in so viel möglich gleiche Volkszahl abzutheilen. Denn wenn man auch dem Gedanken Platz einräumen wollte, daß die Anzahl der Deputirten nach der Volksmenge jedes Orts zu bestimmen und dadurch eine Gleichheit zu erhalten wäre, so müssen dem ohngeachtet in jedem Kanton der Statthalter, der Unterstatthalter, die Verwaltungskammer, so wie die übrigen rechtlichen Behörden ernannt, und auf gemeine Kosten bezahlt werden.

In Erwägung nun, daß, wenn auch im Verfolge, und nach reifer Ueberlegung, eine gleichmässigere Eintheilung von Helvetien, und eine Reduktion in der Zahl der bereits vereinten Kantone vorgenommen werden könnte, so kann man doch nicht widersprechen, daß dermalen der wahre und einzige Zeitpunkt sey, mit dieser Eintheilung bey den kleinen Kantonen, welche größtentheils die Constitution noch nicht angenommen, also mit dem Ganzen noch nicht vereiniget sind, den Anfang zu machen, und diese auf Billigkeit und Gleichheit der bürgerlichen Rechte sich gründende Einrichtung bey ihnen einzuführen, insonderheit da solches dermalen gewiß leichter geschehen kann, als wenn man abwarten wollte, bis sich solche mit uns vereinigt und ihre Deputirten gewählt hätten.

Man ist auch um so mehr berechtigt dieses vorzunehmen, weilen diese Abänderungen gar nicht gegen die Constitution streiten, da solche, im 18 Art. des II. Titels, die Anzahl der 22. Kantonen, die dermalen bis zu 23. angewachsen, blos provisorisch oder als einstweilen benamset. Dagegen im 16. Art. gleichen Titels deutlich stehet: "Die Gränzen der Kantone können verändert, oder das Gesetz anderst eingerichtet werden", das will sagen, durch den Willen oder durch die Beschlüsse der gesetzgebenden Räthe. Denn, wenn man der Constitution eine andere Auslegung geben, oder einen Sinn anzwingen will, den sie nie haben kann, so hätte es das Ansehen, als ob man das Vaterland unter der Last einer übertriebenen Repräsentation wollte schmachten lassen, um, sowohl durch die ungleiche Vertheilung als die unnöthige Menge der rechtlichen und gesetzgebenden Behörden, den unvermeidlichen Untergang der Republik zu befördern.» 

In Erwägung des oben Stehenden hat die Versammlung dann die folgenden vier Fusionskantone geschaffen: 

«Kanton der Waldstätte. (Hauptort: Schwyz). Wird enthalten: Die Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, ob und nid dem Kern-Wald, Zug, Engelberg und Gersau. [...]

Kanton von der Linth. (Hauptort Glaris). Enthält den Kanton Glaris, das Sargans, Gambs, Sax, den obern Theil von Toggenburg, das Gaster, die March, Rapperschwyl, mit den Höfen. [...]

Kanton vom Sentis. (Hauptort St. Gallen). Enthält den Kanton Appenzell, ausser und inner Rhoden, das Rheinthal bis zum Schloß Blatten, die Stadt St. Gallen, die alte Landschaft des ehemaligen Abts von St. Gallen, das Toggenburg bis zum Hummelwald und Hemberg. [...]

Kanton vom Tessin. (Hauptort Bellenz). Er enthält das Livinerthal [Leventina], das Val Maggia, die vormaligen Landvogteyen Locarno, Lugano, Mendrisio, Bellinzona, Riviera und das Thal Blegno. [...]»  

(Fundstelle: Tagebuch der helvetischen Republik, S. 198-203)

Kantonseinteilung. Ein Diskussionsthema seit über 225 Jahren

Die Sprache mag altertümlich wirken, die in den obigen Zeilen ausgebreiteten Themen aber sind der heutigen Schweiz fast unverändert als Diskussionsthemen erhalten geblieben. Es geht um die Frage, wie man ein Parlament so aufstellt, dass alle Bürger gleichberechtigt vertreten sind, ohne dabei eine bis ins Unbezahlbare aufgeblasene Volkskammer alimentieren zu müssen. Selbst Fragen der Subventionierung des Berggebiets werden aufgeworfen. Diese ganze Suppe wurde in Aarau abgeschmeckt mit dem Pfeffer der Gunst der Stunde. Man wollte Tatsachen schaffen. Gegen alle Widerstände und über die Köpfe der Bürger hinweg.

Dass eine solche in wenigen Tagen erarbeitete, zwar vernünftigen Argumenten folgende, aus Sicht der Betroffenen jedoch übers Knie gebrochene Regelung, nicht funktionieren konnte, wird klar, wenn man sich vergegenwärtigt, was die Alte Eidgenossenschaft bis wenige Wochen zuvor noch gewesen war: ein völlig heterogener Staatenbund mit Untertanengebieten, der sich über Jahrhunderte hinweg gestritten, bekriegt, wieder zusammengerauft und auf diese Weise mit- und gegeneinander in ein diffiziles Gleichgewicht gebracht hatte. So ein Parforce-Ritt konnte nicht gut gehen, wie sich dann an der turbulenten kurzen Geschichte der Einheitsrepublik gezeigt hat. Bereits 1803 musste Napoléon Bonaparte die Notbremse ziehen und mit der Mediationsakte ein paar Gänge zurückschalten, um die in Bürgerkrieg abdriftende Schwesterrepublik wieder halbwegs funktionsfähig (und damit für Frankreich nutzbar) zu machen.

Immerhin haben die Begründer des Bundesstaates dann ein halbes Jahrhundert und einen kurzen Bürgerkrieg später aus den Vereinigten Staaten von Amerika das in den Grundzügen bis heute praktizierte Zweikammersystem abgekupfert: mit einem Ständerat als einer Art Tagsatzung, wo jeder Stand gleich viele Stimmen hat, kombiniert mit einem Nationalrat, wo auch die Anzahl Einwohner einen Einfluss auf die Zahl der Sitze im Rat hat.

Das übermässige Stimmengewicht eines Innerrhödlers verglichen mit dem eines Zürchers ist allerdings bis heute ein Stein des Anstosses, der mit schöner Regelmässigkeit zu Überlegungen führt, wie man die Schweiz sinnvoller gliedern könnte, zum Beispiel wie in Frankreich mittels Grossregionen bestehend aus mehreren Departementen. 

Tabula rasa-Ansätze, wie sie zu Anfang der Helvetischen Republik verfolgt und stolz propagiert wurden, mit dem Hinweis, man habe innert weniger Wochen einen Fortschritt um 50 Jahre erzielt (vgl. den Anhang ab S. 500), sind dabei eindeutig chancenlos. Denn wie lange hat es dann ab Ende April 1798 noch gedauert bis zur Gründung des Bundesstaats? Richtig: ziemlich genau 50 Jahre. Die demokratische Volksseele verträgt keine Abkürzungen.

Quelle

  • Tagebuch der helvetischen Republik. Erster Band. Vom 12. April bis 12. May 1798. Zürich, bey Orell, Füßli und Compagnie. 1798.  [507 (!) Seiten; Vorrede datiert «Zürich, am 8. August 1798»]. – I. Verhandlungen der gesetzgebenden Versammlung der helvetischen Republik in Aarau. Vom 12. April bis 12. May 1798. S. 1-286; Beylagen ab S. 153. – II. Tagebuch der Begebenheiten. Vom 9. April bis 12. May 1798. S. 287-499; Beylagen ab S. 386. – Anhang. Proklamation des Vollziehungs-Direktoriums der Einen und untheilbaren helvetischen Republik, worinn dasselbe allen Bürgern Helvetiens verkündet, daß es nunmehr in vollkommene Wirksamkeit gesetzt sey. S. 500.   

Samstag, 9. März 2024

«Momentanes Bedürfniß für Zeitungs-Leser»

Kurz vor dem Ende des Ancien Régime sieht er die Veränderungen direkt vor der Haustüre: Markus Lutz, geboren 1772, hat in Basel Theologie studiert, dann im Bernbiet als Hauslehrer gearbeitet. 1798 konnte er nicht nur heiraten, sondern erhielt auch seine Stelle als Pfarrer in der Baselbieter Gemeinde Läufelfingen (die zum damals noch vereinigten Stand Basel gehörte).

Anfangs 1798 hat sich aber auch sonst so ziemlich alles in seinem Umfeld radikal gewandelt. Am 15. Dezember 1797 besetzen französische Truppen den südlichen Teil des Fürstbistums Basel (heutiger Berner Jura). Am 17. Januar 1798 erhebt sich das Volk in Liestal gegen die Stadt Basel. Und bereits in den ersten Februartagen sieht die Alte Eidgenossenschaft ziemlich alt aus. Auch die Basler Regierung beeilt sich, ihre Verfassung an die Forderungen der Landbevölkerung anzupassen. Alles viel zu spät. Der Zusammenbruch ist nicht mehr aufzuhalten. Bereits am 12. April 1798 wird die von französischen Bajonetten geschützte Helvetische Republik ausgerufen.

Schwierigkeiten, noch den Überblick zu behalten?

In diesem ganzen Tohuwabohu noch einigermassen den Überblick zu behalten, war nicht einfach. Zeitungen sprossen wie die Pilze aus dem Boden, denn das Informationsbedürfnis war gross, zumal nach der bleiernen Zeit der Zensur, die im ausgehenden 18. Jahrhundert alles im Würgegriff hielt.

Wo man die politischen Verhältnisse des alten Systems noch gekannt hatte, da sah nun innert weniger Wochen alles ganz anders aus. Was gehörte jetzt wohin?

Der Basler Verleger und Buchhändler Flick sah eine Marktlücke. Markus Lutz betätigte sich als Autor und die beiden setzten einen Titel wie aus einem Marketing-Lehrbuch: «Momentanes Bedürfniß für Zeitungs-Leser. Oder Handbüchelgen der helvetischen Republik.». Hier das Titelblatt der ersten Ausgabe:


Offenbar entsprach das Werk einem Bedürfnis, sodass im Folgejahr 1799 eine weitere Ausgabe gedruckt werden musste. Die Publikation war mit heisser Nadel glismet, so viel ist klar, denn für sorgfältiges Lektorat hat die Zeit auch bei der zweiten Ausgabe nicht gereicht.

Der Distrikt Bülach

Auch unser Weiach hat in diesem Buch seine Erwähnung gefunden. Neu nicht mehr als Teil des Neuamts (wie seit 1424), sondern als Teil des «7. Districkt» des Kantons Zürich, der nur noch eine Verwaltungseinheit der Zentralregierung war.

Beschrieben werden die Städtchen Bülach und Eglisau, dann Glattfelden und Niederwenigen. Bei den restlichen Gemeinden beherrscht karge Kost bis völliges Weglassen die Szene. 

Immerhin werden Rafz, Weil, Bohns, Weyach, Stadel, Schäflistorf und Steinmaur werden explizit genannt. Und wenn Sie jetzt bei Bohns ratlos den Kopf schütteln... dem Verfasser dieses Beitrags geht's nicht anders.



Bei der Beschreibung des geographischen Umfangs beweist Lutz auch nicht gerade eine glückliche Hand, heisst es doch da:

«Dieser Distrikt enthält den ganzen Landesbezirk außerhalb dem Rhein, bey Eglisau mit der Gegend, westlich dem Eschenmooser Hügel, bis an die Lägeren und die Grenze von Baden. Er enthält circa 10900 Menschen.» 

Dass zur Eglisauer Umgebung auch das ganze Rafzerfeld gehört, das wird wohl nur ein bereits Ortskundiger gemerkt haben, der die alten Beschreibungen noch zur Hand hatte (bspw. Fäsis Staats- und Erdbeschreibung von 1765ff, vgl. WeiachBlog Nr. 999).

Quelle und Literatur

  • Lutz, M.: Momentanes Bedürfniß für Zeitungs-Leser. Oder Handbüchelgen der helvetischen Republik. Basel. Im Verlag von Samuel Flick Sohn, Buchhändler an der Schifflände, 1798 – S. 135-136. – Für e-rara.ch gescanntes Exemplar der Universitätsbibliothek Basel. Signatur: UBH Ei* VI 8 – https://doi.org/10.3931/e-rara-127230 
  • Brandenberger, U.: Wie man nach dem Tode Bücher schreibt. WeiachBlog Nr. 999, 30. April 2011.

Freitag, 8. März 2024

Wenn der Hauseingang nicht dort ist, wo er sein müsste

Kommt eine Blaulichtorganisation (Sanität, Polizei, Feuerwehr) zum Einsatz, dann geht es oft um Leben und Tod. Da können Sekunden entscheiden. Deshalb gilt bei Behörden von Bund und Kanton als ausgemacht: Die exakte Position aller Gebäude, in denen sich Menschen aufhalten (und sei es auch nur sporadisch und temporär), muss in Geographischen Informationssystemen jederzeit verfügbar sein.

Die Adresse sollte daher auch dem Namen der Strasse entsprechen, auf die ein Hauseingang in direktem Weg hinausführt. So verlangen es zumindest die Empfehlungen des Bundes. Aber eben: es sind Empfehlungen, keine zwingenden Rechtsvorschriften. Und so herrscht in der Gemeinde Weiach ein Wildwuchs, der je nach Tagesform und Präferenz des jeweiligen Entscheidungsträgers die Regeln einhält oder eben nicht.

Kein Problem mehr bei der Büelstrasse 2

Auf dem Plan der Amtlichen Vermessung steht die Hauseingangszahl eindeutig auf der Nordostseite des Hauses Büelstr. 2 (vgl. WeiachBlog Nr. 1380). Das ist allerdings noch keine Garantie, dort auch den tatsächlichen Hauseingang zu finden. 

Im Falle dieses Gebäudes führt dieser dem früheren Irrtum bezüglich der Strassenführung geschuldete Umstand nicht zu Adressierungsproblemen. Bis vor einigen Jahren führte der Bachweg auf dem Plan nämlich bis zur Stadlerstrasse, nicht aber in der Realität, wie die Strassentafel sie unbestreitbar verkündet hat und das bis heute tut: Ein Irrtum des damals zuständigen Vermessungsingenieurbüros Landolt AG, das sich beim Einzeichnen des Strassennamens an der Parzellengrenze orientiert hat (vgl. Bild unten rechts). Mittlerweile ist der Plan mit der Realität in Einklang gebracht worden (vgl. kleineres Bild unten links).


In anderen Fällen kommt aber ein ganzer Rattenschwanz an Folgen auf die Gemeinde (Kosten für das Vermessungswerk) und/oder die betroffenen Einwohner (Adressänderung!) zu, würde man sich an die von der Eidg. Vermessungsdirektion empfohlene Regelung halten, dass die Adresse die tatsächliche Position des Hauseingangs abzubilden hat. Und dann spart sich der Gemeinderat die eigenen Kosten lieber.

Neue Hausnummern wären erforderlich

Das Hauseingangsproblem zeigt sich (neben dem Fall Büelstrasse 2) auch einen Steinwurf entfernt, beim Haus Chälenstrasse 2. Auf der Seite Chälenstrasse ist keine einzige Wohnungseingangstüre zu finden (nur Ausgänge auf Gartensitzplätze). Das Haus müsste also eigentlich die Adresse Stadlerstrasse 2a tragen, wenn man dem ehemaligen Gasthof «Sternen» die Nummer 2 belässt. Letzteres ist seit dem Umbau der Hauptstrasse 7 Basel–Winterthur auch zwingend, denn seither kann man nur noch von der Stadlerstrasse her auf den Sternenparkplatz fahren (von der Kaiserstuhlerstrasse her geht das nicht mehr – jedenfalls nicht mehr so einfach wie früher).


Ebenfalls überhaupt nicht nach der Logik der Empfehlungen der Eidg. Vermessungsdirektion ist die Vergabe der Nummer für die 2015 erstellte Liegenschaft Chälenstrasse 5 (s. Bild oben). Dass man das ältere Haus Hintermann (anfangs der 1960er gebaut) nicht mit einem Wechsel der Nummer konfrontieren wollte, ist zwar nachvollziehbar. Dann hätte man aber für das neue Wohnhaus die Bezeichnung Chälenstrasse 1a festlegen müssen. Aus der aktuell noch mit Nr. 3a.1 bezeichneten Baute kann schliesslich irgendwann ein Wohnhaus Chälenstrasse 1 werden, wenn der Hauseingang nach Nordwesten zu liegen kommt. Zeigt er nach Nordosten, ist es die Stadlerstrasse 2b.

Augen zu und durch: das Seerenweg-Dilemma

Noch gravierender präsentiert sich das Problem in Neu-Weiach bei der 2014 fertiggestellten Überbauung «Im See». Der Hauseingang des Gebäudes mit der offiziellen Adresse Im See 8 liegt auf der Seite des (von der Gemeinde offiziell so benannten) Seerenwegs, was man auf dem Plan der Amtlichen Vermessung deutlich erkennen kann  (s. Bild unten, vgl. auch WeiachBlog Nr. 1277 vom Mai 2016). Hier müsste also ein ganzes Mehrfamilienhaus eigentlich die Adresse wechseln!

Zwei aktuell abrufbare Pläne auf dem Kantons-GIS: Auf dem linken Plan muss man zum Schluss kommen, es handle sich um das MFH Seerenweg 8. Auf dem rechten ist es Im See 8.

In diesem Fall ist der Fehler nicht dem Vermessungsingenieurbüro zuzuordnen. Hier war es die Gemeinde selber, die nicht gemerkt hat, dass sie mit der Baubewilligung einen Hauseingang auf den (ebenfalls von ihr selber so benannten) Seerenweg genehmigt und in derselben Bewilligung die offizielle Adresse und Hausnummer Im See 8 vergeben hat, was sich mit den Empfehlungen des Bundes nicht verträgt. 

Der Name Seerenweg war aber nun mal in der Welt, eine Änderung hätte die Gemeinde etwas gekostet und zusätzlich die Bewohner dieses Mehrfamilienhaus verärgert. Die sind allerdings gleichzeitig Stockwerkeigentümer, also lässt man das besser. Und belässt auch dem Fussweg Richtung Hasli seinen Namen. So erweisen sich Todesnachrichten (WeiachBlog Nr. 1277) als verfrüht. 

Weitere Beispiele für solche Adressierungsprobleme im Zuge der Neubenennung von Strassen finden sich im Artikel WeiachBlog Nr. 1335.

Chälenstrasse  23/25/27: das Königsprivileg der Gemeindebehörden

Im Falle der Ersatzüberbauung in der oberen Chälen ist die Sachlage leicht anders. Dort sind ausschliesslich Mieter ansässig (Alleineigentümerin des Komplexes ist die Neugut Immobilien und Verwaltungs AG, mit Sitz in Dübendorf). 

Wie die Landolt AG 2018 auf Anfrage von WeiachBlog mitteilte, hätten sie 2016 schon den Architekten darauf aufmerksam gemacht, dass die Baubewilligung eine andere Nummerierung vorsehe als die Ausführungspläne. Diesem Hinweis ist dann offenbar nicht genügend Beachtung geschenkt worden.

Erst als die Hausnummern durch die Behörden montiert wurden, merkten die frisch zugezogenen Bewohner der Häuser Chälenstrasse 23/25/27, dass sie allesamt mit einer Adressänderung beglückt worden sind – verglichen zu dem, was ihnen von ihrer Liegenschaftenverwaltung mitgeteilt worden war. 

Und weil die Gemeinde ihren (in diesem Fall nun tatsächlich der Empfehlung der Eidg. Vermessungsdirektion folgenden) Entscheid mit Nachdruck verteidigte, mussten die neuen Chälemer die Folgekosten für diese Änderung der Hausnummer tragen (Ummeldung bei allen Stellen, denen man die neue Adresse bereits mitgeteilt hatte, allenfalls neue Visitenkarten, etc.; vgl. WeiachTweet Nr. 1314, 2. März 2018, 23:40 MEZ; Bild oben). 

War das die Neuauflage der klassischen Chälemerdiskriminierung des 19. Jahrhunderts? Oder sind neuweiacherische Stockwerkeigentümer halt eine bessere Klasse von Einwohnern? Wie dem auch immer sei: Der Schutz der Gemeindekasse vor «unnötigen» Ausgaben geht – wenigstens in diesem Anwendungsgebiet – über alles.

Literatur