Mittwoch, 3. Mai 2006

Ein Gemeindeporträt aus dem Blickwinkel der Hauptstadt

Herbst 1960. Was heute Assoziationen zu Kies auslöst, war damals den meisten Stadtzürchern noch ein böhmisches Dorf. Vom geplanten Kiesabbau im industriellen Massstab wussten nur ein paar Insider. Seither hat sich sehr viel verändert. Deshalb ist dieser Beitrag in der «Zürcher Woche» wirklich historisch zu nennen. Das letzte Porträt der Gemeinde Weiach vor der grossen Transformation:

«Für den Zürcher führen viele Wege nach Basel. Der Eilige fährt über Brugg. Wem es aber nicht so pressiert damit, ins hassgeliebte Schwesterstädtchen am rundlichen Rheinknie zu kommen, der wählt den Weg längs des grünen Rheins. Dabei kommt er kurz vor dem wehrhaften Städtchen Kaiserstuhl durch die freundliche und saubere Ortschaft Weiach. Weiach, welches die Ehre hat, den nordwestlichsten Angelpunkt unserer Kantonsgrenze zu bilden. Die Gemeinde liegt eingebettet in ein freundliches Tälchen, umkränzt von Waldsäumen. Der Wald spielt eine grosse Rolle für diese Gemeinde, denn die reichen Erträge des 250 ha umfassenden Waldbesitzes der Gemeinde halten den Steuerfuss auf der erträglichen Höhe von 180 Prozent. Weiachs Grundfläche misst 969 Hektaren, die Hälfte davon ist Wald. – Der Blick des Beschauers schweift hinüber zu den friedlichen Waldhöhen des deutschen Grenzlandes, der Rhein rauscht noch ziemlich lebhaft am Dorf vorüber (er wird erst kurz vor Zurzach gestaut). Weiach zählt rund 600 Einwohner, die Zahl ist seit Jahren gleichgeblieben. Noch bebauen rund 50 Bauernfamilien ihr eigenes Land; doch verurteilt hier der leidige Nachwuchsmangel den einen oder andern Hof zum Sterben. In den letzten Jahren sind fünf Bauerngewerbe aufgegeben worden.

Industrie gibt es in Weiach kaum, lediglich ein kleines Schuhfabriklein beschäftigt wenige Dutzend Arbeiter. Die meisten davon kommen aber jeden Tag über die mit dem heiligen Nepomuk gezierte Kaiserstuhler Brücke aus dem deutschen Grenzgebiet herüber. Zu erwähnen ist noch eine Sägerei mit rund zehn Arbeitern. Die Gemeinde schätzt sich glücklich, dass verschiedene Industriebetriebe im Lande nicht übel Lust zeigen, sich in dem flachen Gelände zwischen der Bahnlinie Eglisau-Koblenz und dem Rhein anzusiedeln. Das würde Steuergelder ins Dorf bringen. Viele Bauern opponieren aber einer solchen Überbauung, weil sie befürchten, dass dann ihre letzten Arbeitskräfte der «Fabrik» zulaufen würden. Schon heute arbeitet fast die gesamte jüngere Generation von Weiach in Zürich, Winterthur, Bülach und Glattfelden.

Der stabil bleibenden Bevölkerungsziffer entsprechend ist die private Bautätigkeit äusserst gering. In den letzten zehn Jahren wurden nur drei Häuschen erstellt. Ferner wurde ein Fünffamilienhaus gebaut vom Bund, denn die Zöllner und Grenzwächter müssen ja auch irgendwo wohnen. Eine Bauordnung hat sich bisher als unnötig erwiesen. Gewisse idyllische Gebiete, namentlich gegen den Sanzenberg hinauf wurden aber unter Heimatschutz gestellt, damit dort keine Weekend-Häuschen erstellt werden können. An solcher Besiedelung hat die Gemeinde kein Interesse, da nur Umtriebe, aber keine Steuererträgnisse daraus resultieren.

Die Gemeinde Weiach hat auch einen ganzen Kratten voll öffentlicher Bauaufträge zu lösen. Bereits sind für rund eine Viertelmillion Kanalisationen erstellt worden, woran allerdings der Staat einen schönen Schübel beiträgt. Der Endausbau der Kanalisation wird nochmals rund 100 000 Franken kosten. Auf dem Pflichtenheft steht ferner eine Kläranlage für 200 000 Franken, sie kann aber erst gebaut werden, wenn der Dorfbach verlegt worden ist. Da die Weiacherstrasse besonders an schönen Sonntagen stark befahren wird, ist ein Trottoir vorgesehen, das 130 000 Franken kosten wird. Von der Kantonsgrenze Aargau bis ins Dorf soll die Hauptstrasse ausgebaut werden, was eine runde Million verschlingt. An diese horrende Summe muss Weiach aber nur rund 3 Prozent beitragen. Notwendig ist ferner eine Turnhalle, das Gelände ist bereits gekauft, und ausserdem soll eine Spielwiese ausgebaut werden. – Die Weiacher waren nicht ganz unglücklich über den nassen Sommer, denn die Gemeinde leidet sehr rasch unter Wassermangel. Der Ausbau der Wasserversorgung steht deshalb ebenfalls auf der Wunschliste. Aber wie gesagt, die Steuererträgnisse sind klein, und so wird es wohl noch Jahre dauern, bis alle die aufgezählten Projekte verwirklicht und vor allem bezahlt sind. b.s.
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Manche Details sind ohne Kommentare nicht verständlich. Erläuterungen finden Sie im soeben publizierten jüngsten Beitrag der Weiacher Geschichte(n) 78.

Quellen
  • Porträt einer Zürcher Gemeinde. Weiach. In: Zü[rcher] Wo[che], 21. Oktober 1960.
  • Keineswegs steinreich. Ein Porträt der Gemeinde Weiach in der «Zürcher Woche», 1960. Weiacher Geschichte(n) 78. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Mai 2006 – S. 17-18.

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