Sonntag, 6. August 2006

Unterländer Bastion gegen das Tagi-Schlachtschiff

Es tut sich Erstaunliches in der Unterländer Presselandschaft.

Wie WeiachBlog am 21. März berichtete, plant der Zürcher Tages-Anzeiger (umgangssprachlich kurz «Tagi» genannt) einen Vorstoss ins Unterland (vgl. den Artikel Tages-Anzeiger mischt regionale Presselandschaft auf).

Nun hat am 26. Juli eine der wenigen bislang noch völlig unabhängig operierenden Zeitungen weit und breit, das konservative «Neue Bülacher Tagblatt», eine strategische Allianz mit dem eher progressiven «Zürcher Unterländer» angekündigt.

Wer die Geschichte der beiden Blätter kennt, der reibt sich erstaunt die Augen. So etwas hätte man nun wirklich nicht erwartet.

Unterländer Federgefechte seit 1866

Das «NBT» und der «ZU» - die letzten Mohikaner einer einst vielblättrigen Zürcher Unterländer Presselandschaft - waren sich zwar nicht gerade spinnefeind. Dass sie das Heu auf der gleichen politischen Bühne haben, kann man aber beim besten Willen nicht behaupten.

Schon kurz nach seiner Gründung im Juni 1866 trat das damals unter dem Namen «Bülacher Volksfreund» auftretende Tagblatt in scharfe Konkurrenz zur etwas älteren «Bülach-Regensberger Wochenzeitung» (heute: ZU). Die Chefredaktoren - die manchmal gleichzeitig auch Besitzer ihrer Zeitungen waren - lieferten sich veritable Federgefechte.

Die beiden Zeitungen waren die politische Bühne des Unterlandes. Sie dienten auch als Plattform für öffentliche Schlammschlachten zwischen Unterländer Politikern (vgl. für eines der frühesten Beispiele den Artikel Weiacher Geschichte(n) Nr. 55: «Saufgelage!» - Statthalter verklagt Gemeinderatsschreiber).

Bedrohlicher Tages-Anzeiger

Und jetzt das! Eine Allianz mit dem «Unterländer»! Die Besitzerfamilie Graf hat diesen Schritt wohl schweren Herzens und offensichtlich nicht freiwillig getan.

Das angekündigte Vorrücken der Tamedia AG auf den bislang nur durch die beiden Regionalzeitungen beackerten Lokalnachrichten-Bereich wird als tödliche Bedrohung wahrgenommen.

Zu Recht. Die Gratis-Wochenzeitung «WOSPI» mit ihrem Schmalspurjournalismus ist keine wirkliche Konkurrenz. Mit der Tages-Anzeiger-Regionalausgabe aber ist nicht zu spassen.

Nur so wird das Zusammengehen mit dem Konkurrenten um das begrenzte Anzeigensubstrat verständlich: Es geht um's nackte Überleben.

Kopfblattsystem und Ressourcenpooling

Laut einer Medienmitteilung vom 26. Juli sind mit dem angekündigten engen Schulterschluss die folgenden Massnahmen verbunden:

«Die Firmen Druckerei Graf AG in Bülach und Zürcher Unterland Medien AG in Dielsdorf haben eine enge redaktionelle und technische Zusammenarbeit vereinbart. Die beiden Tageszeitungen schliessen sich auf Anfang November 2006 zu einem Kopfblattsystem zusammen. Das «Neue Bülacher Tagblatt» bleibt als Titel mit eigener Redaktion bestehen. Die operative Führung liegt künftig bei der Zürcher Unterland Medien AG. Die Herren Karl-Heinz Graf und Dieter Graf bleiben im Verwaltungsrat des in Bülach domizilierten Verlagshauses. Der Schwerpunkt ihrer eigenen operativen Tätigkeit wird künftig bei Gestaltung und Druck liegen. Gemeinsamer Standort in Bülach wird der Sitz der Druckerei Graf AG an der Bahnhofstrasse 44.»

Die Graf-Dynastie zieht sich also nicht ganz zurück. Überlässt aber den täglichen Platzkampf dem mit der NZZ liierten neuen Partner.

Charakteristika sollen bleiben

Am 29. Juli legte die NBT-Chefredaktorin Dagmar Appelt einen Kommentar zu diesem Kooperationsprojekt nach. Ab Anfang November wollten die beiden Zeitungen «Synergien nutzen, sowohl in redaktioneller als auch in technischer Hinsicht.» Vieles sei «konzeptuell noch in Arbeit.»

Fest steht aber offenbar schon, dass die bisherige Ausrichtung des «NBT» nicht zur Disposition steht. Unterstrichen wird diese Absichtserklärung durch die vorgesehene Struktur: «Das «Neue Bülacher Tagblatt» bleibt eine eigene Firma.»

Alles andere käme auch wirtschaftlichem Selbstmord gleich. Dass die NBT-Führung dies weiss, zeigt der folgende Abschnitt: «Die von unserer Leserschaft geschätzten «NBT»-Charakteristika bleiben bestehen. Die bewährte «NBT»-Redaktion wird Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, auch fortan ein engagiertes Produkt abliefern. Auf unsere pointierten Kommentare dürfen Sie sich weiterhin freuen!»

Man wird sehen, ob sich das eigenständige Auftreten auch im Webauftritt äussern wird, oder das NBT im Layout-Eintopf von «Unterländer», «Rümlanger» und «Zürichsee-Zeitung» aufgeht.

Zumindest was den redaktionellen Inhalt anbelangt, wird dies nämlich so sein: «Neu wird das «NBT» ab November die Ressorts Kanton Zürich, Ausland und Inland sowie den Sport gemeinsam mit dem «Zürcher Unterländer», den «Zürichsee-Zeitungen» sowie dem «Zürcher Oberländer» teilen. Für die Leserinnen und Leser des NBT wird dadurch im Mantelteil noch mehr Information und Service geboten.»

Ob diese neue Suppenmischung den angesprochenen Abonnenten schmecken wird?

Gegen das «Medien-Schlachtschiff»

«Die Kapazität, welche durch die Einbindung in die Züri-Land-Zeitungen frei wird, werden wir vor allem zur vertieften regionalen Berichterstattung einsetzen. Dass wir nebenbei einem Medien-Schlachtschiff, das — koste es, was es wolle — noch so gerne in die Gewässer des Zürcher Unterlandes vordringen möchte, die Stirn bieten, ist ein sympathischer Nebeneffekt dieses zukunftsweisenden regionalen Schulterschlusses von «NBT» und «ZU»!»

Gedrechselte Worte mit dem klaren Touch einer offenen Kampfansage. Man spürt deutlich, dass es ohne das Kanonenboot «Tamedia AG» (mit einem Grossaufgebot von 65 Stellen für die im Frühling angekündigte Unterland-Invasion; vgl. den WeiachBlog-Artikel vom 21. März) kaum so weit gekommen wäre.

Eines ist jedenfalls sicher: die regionale Berichterstattung wird ab dem Herbst wesentlich dichter. Bleibt zu hoffen, dass weder Qualität noch Vielfalt unter dieser Dichte leiden.

Quellen

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