Sonntag, 31. Januar 2010

Patt nach Kampfwahl um Gemeindepräsidium

Nach den Gemeindewahlen 2010 am heutigen Wahlsonntag steht Weiach vor einem politischen Patt.

Der Sprengkandidat Paul Willi, der sich erst in letzter Minute aufstellen liess (Motto des Flugblatts: «Für bessere Kontinuität in der Behörde») hat zwar selber die Wahl in den Gemeinderat verpasst. Dass er aber trotz extrem kurzfristiger Ankündigung (im Zürcher Unterländer z.B. gestern Samstag, 30. Januar!) immerhin 91 Stimmen auf sich vereinen konnte, ist bemerkenswert.

Damit verpasste Willi das absolute Mehr. Gewählt für die Amtsperiode 2010 bis 2014 sind der bisherige Gemeinderat Ernst Eberle mit 184 Stimmen, gefolgt von Michael Bärtsch (neu, 167 Stimmen), Thomas Steinmann (neu, 150), Emanuel Galimberti (neu, 120), Elsbeth Ziörjen (neu, 117).

Galimberti ist also Gemeinderat. Aber nicht Gemeindepräsident. Denn in dem in letzter Minute lancierten Rennen um dieses Prestigeamt haben viele Weiacherinnen und Weiacher dem neuen Kandidaten die kalte Schulter gezeigt - nur 68 Stimmen konnte Galimberti auf sich vereinen. Damit verpasste er das absolute Mehr und muss nun am 25. April zu einem zweiten Wahlgang antreten.

Bei diesem spektakulären Patt geht die zweite Sensation, die erste Gemeinderätin in der Geschichte von Weiach überhaupt, fast völlig unter.

Samstag, 30. Januar 2010

Schlecht «getrechselte» Wahlvorschau

Der Tages-Anzeiger Unterland brachte im Vorfeld der am Wochenende stattfindenden Gemeindewahlen gleich zwei Artikel mit Bezug zu unserem Dorf.

Runderneuerung

Der erste, ein am 18. Januar 2010 erschienener Kurzbeitrag von Sandra Zrinski mit dem Titel «Grosse Erneuerung des Gemeinderats», handelt ausschliesslich von Weiach:

«Der Elektroinstallateur und Geschäftsinhaber Ernst Eberle ist der einzige Weiacher Gemeinderat, der sich am 31. Januar für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung stellt. Die anderen vier Behördenmitglieder treten zurück. Für diese Sitze kandidieren neu Elsbeth Ziörjen, Michael Bärtsch, Thomas Steinmann und Emanuel Galimberti. Alle bis auf Steinmann, der Mitglied der SVP ist, sind parteilos. Galimberti stellt sich auch für das Amt des Präsidenten zur Verfügung.

Für die Rechnungsprüfungskommission stehen so viele Kandidaten wie Sitze zur Verfügung. Im Gegensatz zum Gemeinderat bleibt die Behörde weitgehend in der gleichen Zusammensetzung wie bisher. Am 31. Januar wählen die Weiacher ausserdem die evangelisch-reformierte Kirchenpflege und die Mitglieder des Wahlbüros. (szr)
»

Dass nun mit Thomas Steinmann ein Kandidat SVP-Mitglied ist, kann man schon als kleine Revolution bezeichnen. Denn bisher war es bei uns jahrzehntelang Tradition, dass die Mitglieder der Exekutiven im Dorf parteilos sind. Oder sich wenigstens offiziell so geben.

Interessant in diesem Zusammenhang: der frühere Gemeindepräsident Mauro Lenisa ist Mitglied der FDP. Ob er das auch schon zu seiner Präsidentenzeit war, ist WeiachBlog nicht bekannt.

Gefahr von Abwahl kaum existent

Der zweite Artikel im Tages-Anzeiger Unterland vom 28. Januar trägt den Titel «Wer wird am Wochenende im Unterland abgewählt?» (Verfasser: Markus Rohr).

Für Weiach stellt sich diese Frage allerdings kaum, gibt es doch keinen einzigen umstrittenen Sitz. Bei der Kirchenpflege waren nach der Wählerversammlung sogar zwei von fünf Sitzen noch vakant. Und bei den Bisherigen, also denen, die sich erneut zur Wahl stellen, ist kaum zu erwarten, dass sie von den Urnengängern in die Wüste geschickt werden.

Im Gegensatz zur Wehntaler Gemeinde Oberweningen, wo alle bisherigen Gemeinderäte vollzählig wieder antreten und gar mit zwei Sprengkandidatinnen konfrontiert sind, sei dies am Rhein anders, meint Rohr:

«Fast gar das Gegenteil passiert in Weiach, wo vier der fünf bisherigen Gemeinderäte abtreten, darunter auch Gemeindepräsident Gregor Trechsel. Auf seinen Posten aspiriert der vor zwei Jahren zugezogene Emanuel Galimberti, der als Präsident des Unihockey-Vereins Kloten-Bülach Jets bekannt ist. In Weiach gibt es keine Kampfwahl, weil nicht mehr Kandidaten als Sitze zur Verfügung stehen.»

Das ist wohl das letzte Mal, dass der Name unseres Noch-Präsidenten Gregor Trachsel falsch geschrieben wurde. Neben «Trachsler» gibt es nun also auch noch die Variante «Trechsel». Alles existente Familiennamen - nur nicht der richtige. Da fragt man sich was in den Redaktionen los ist. Fehlerfrei abtippen sollte man als Journalist eigentlich schon noch können.

Für den kommunalen Entscheid irrelevante Wahlwebsite

Der Zürcher Unterländer ist übrigens in Sachen Qualitätssicherung auch nicht gerade ein Vorbild. Er hat zwar löblicherweise eine eigene Sonderwebsite zu den Gemeindewahlen 2010 aufgeschaltet. Dort ist allerdings ausser den Namen der Bisherigen und der neu zur Wahl Stehenden nicht viel zu finden. Die Namen der Kandidaten für die evangelisch-reformierte Kirchenpflege fehlen sogar ganz - obwohl man sie wie die der Gemeinderäte und Schulpfleger den Mitteilungen der Gemeinde Weiach entnehmen konnte.

Das macht aber wenig bis nichts, denn die Weiacherinnen und Weiacher entscheiden sowieso nach Köpfen. Was wichtig ist steht in den Mitteilungen. Das Internet hat für die Lokalpolitik praktisch keine Bedeutung.

Nachtrag von Samstag, 30.1.2010, 19:25

Anscheinend gibt es doch einen Sprengkandidaten, vgl. den Kommentar von heute 17:14 Uhr!

Freitag, 29. Januar 2010

Feuerwehreinsätze 2009

Die Feuerwehr Glattfelden-Stadel-Weiach hatte nach den Angaben auf ihrer Website im vergangenen Jahr auf Gemeindegebiet Weiach nur drei Einsätze zu leisten, die jedoch ein breites Spektrum der Schadenabwehr abdeckten (weitere Bilder durch Anklicken der Links auf den Originalbeitrag):

Wasserrohrbruch in Weiach, 09.01.2009


«Am Freitag, 09. Januar um 07:45 Uhr ist auf der Höhe der Kaiserstuhlerstrasse 10 in Weiach - vermutlich durch die Kälte verursacht – eine Hauptwasserleitung geborsten. Der Wasserschwall überflutete ein angrenzendes Wiesenstück und lief auf die Hauptstrasse.

Die acht aufgebotenen Feuerwehrleute der Bagatellgruppe Glattfelden, sicherten die Strasse und dämmten das Wasser mit H-Profilen ein. Nach dem der Brunnenmeister das Wasser abgestellt hatte, musste ein ebenfalls aufgebotener Salzstreuer, die Strasse und das Trottoir von der entstandenen Eisschicht befreien. Da durch den Rohrbruch einige Haushaltungen ohne Wasser waren, wurden die Reparaturen durch die Handwerker unverzüglich in Angriff genommen.
»

Wie alt diese Leitung war, ist mir nicht bekannt. Dass aber die teilweise noch aus dem Erstellungsjahr 1877 unserer Wasserversorgung stammenden Wasserleitungen dem Zahn der Zeit zum Opfer fallen, ist kein Wunder.

Elementarereignis vom 18.07.2009


«"Wasserwehr einrücken ins Depot" stand am (sehr) frühen Samstagmorgen auf dem Pager. Die Glattfelderstrasse kurz vor Weiach war auf der halben Fahrbahnbreite in einem etwa 10 Meter langen Bereich bis zu 50cm unter Wasser. 8 Angehörige der Feuerwehr (AdF) sicherten und beleuchteten die Strasse und liessen die Fahrzeuge wechselseitig passieren. Mit einer Motorspritze wurde das Wasser abgesaugt und über die Strasse befördert.»

Dieses Stück Hauptstrasse ist nicht zum ersten Mal überschwemmt worden (vgl. den Kommentar unter dem Artikel Nr. 126: Land unter im Unterland, WeiachBlog, 10. März 2006). Es ist durchaus möglich, dass dies mit der 2001 abgeschlossenen Streckenverlegung der Hauptstrasse Nr. 7 zusammenhängt. Bei Starkregen funktioniert das Abflussregime vom Stein in Richtung Rhein offensichtlich nicht optimal.

Rauchentwicklung am Birkenweg in Weiach

«Am 21.09.2009 um ca. 10:35 entdeckten Bewohner am Birkenweg in Weiach, dass Rauch aus dem Keller des Nachbarn kam und alarmierten die Feuerwehr. Trotz der starken Rauchentwicklung und der dadurch entstehenden schlechten Sicht, konnte das Feuer schnell lokalisiert werden. Unter Atemschutz wurde sofort ein Innenangriff gestartet. Dank dem schnellen Einsatz des Lüfters konnte man die Sicht verbessern und so schnell bis zum Brandherd vorstossen. Am anderen Ende des Kellers stand eine Heizung, deren Isolierung Feuer gefangen hatte. Sofort wurde die Stromzufuhr unterbrochen und die Isolation gelöscht. Durch die unverzüglich geschaffene Öffnung konnte der Rauch mittels Überdruckbelüftung ins Freie „gedrückt“ werden. Dank des beherzten Einsatzes der 14 Angehörigen der DG 2 und dem Einsatz des Lüfters, wurden weitere Schäden verhindert. Die Brandursache wird zurzeit durch den Brandermittlungsdienst der KAPO ZH ermittelt. Wb, Kdt»

Merke: Auch Isolationen können brennen!

Beim einzigen Brand des Jahres war auch die Stützpunktfeuerwehr Bülach beteiligt:
«Einsatz 112 am 21.09.2009 10.39 mit Autodrehleiter. Rauch aus Keller, Birkenweg, Weiach.» Im Einsatz standen 11 AdF (Angehörige der Feuerwehr).

Danke für Euren Einsatz!

Donnerstag, 28. Januar 2010

Fast ein halbes Jahrhundert in der Schulpflege

Gestern war die Rede von den fünf fast 100-jährigen Weiacherinnen und Weiachern. Heute geht es um die Alten vor 50 Jahren, beziehungsweise deren Kurznachrufe, wie sie Walter Zollinger in der Jahreschronik des Jahres 1960 festgehalten hat:

«Im 86. Altersjahr starb Frl. Babettli Baumgartner, im 87. Frau Elise Schenkel, Rhyschenkels genannt, weil sie mit ihrem Manne zusammen während langen Jahren den Bauernhof am Rhein unten bewirtschaftet hatte.»

Der Rheinhof ist mittlerweile nur noch ein unbewohntes Haus, das leider nicht mehr weit von einem Ruinenzustand entfernt ist (vgl. den Artikel Nr. 434: Der Rheinhof im Griesgraben, WeiachBlog, 22. April 2007)

«Gar im 89. Altersjahr war Heinrich Näf, alt Schuverwalter [sic!] gestorben. Er hatte während 46 Jahren der Schulpflege als Mitglied und später eben als Verwalter des Schugutes [sic!] gedient. Wo findet man heute noch solche Treue und solch Ausharren?!»

Und das schrieb einer, der selber von 1919 bis 1962 (also während 43 Jahren) Primarschullehrer in Weiach war. Heinrich Näf war sozusagen ein jahrzehntelanger Weggefährte.

Zollinger hat allerdings recht. Heute werden einem solch hohe Dienstalter eher als Sesselkleben oder gar mangelnde Flexibilität angekreidet.

Quelle
  • Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1960 - S. 19.
  • vgl. für die vollständige Sammlung: Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach [Jahrgang].

Mittwoch, 27. Januar 2010

Vier Methusalems knapp unter 100

Den Mitteilungen für die Gemeinde Weiach vom Januar 2010 kann man auf Seite 10 entnehmen, dass es mittlerweile gleich fünf Seniorinnen und Senioren gibt, die das 95. Altersjahr längst überschritten haben und mehr oder weniger kurz vor dem 100. Geburtstag stehen.

Drei Frauen und zwei Männer sind es, die noch vor Beginn des 1. Weltkriegs das Licht der Welt erblickt haben und beim Ausbruch des 2. Weltkriegs längst gestandene Erwachsene waren:
  • Mina Moser-Nepfer (geboren den 12. März 1911)
  • Hedwig Hugener-Brunner (geboren den 10. Dezember 1911)
  • Emma Erb-Saller (geboren den 14. Januar 1912)
  • Arnold Hauser (geboren den 2. Dezember 1912)
  • Gottlieb Griesser-Oeschger (geboren den 1. Januar 1913)
Vier von ihnen wohnen noch in Weiach und drei davon führen sogar noch ihren eigenen Haushalt! Nur Emma Erb-Saller wohnt seit geraumer Zeit im Altersheim Eichi in Niederglatt.

Wir wünschen allen Jubilaren gute Gesundheit und viel Gefreutes.

Weiterführende Artikel zu den Jubilaren

Dienstag, 26. Januar 2010

Brandassecuranzsteuer: 4 Rp. pro 100 Fr.

An der «Gemeindsversamlung vom 14ten Dezbr. 1856» wurde dem Gemeinderat die Vollmacht erteilt, betreffend Anschaffung einer neuen Feuerspritze, samt Bau eines neuen Spritzenhauses sowie Verwendung der alten Spritze Abklärungen zu treffen.

Für den Originaltext vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 98: Dreissig Tannen, vierzig Eichen und eine neue Feuerspritze. Warum vor 150 Jahren das Alte Gemeindehaus erbaut wurde. (MGW Januar 2008, Gesamtausgabe S. 376)

Kurzmitteilungen zum Schluss

Damit war die Versammlung auch schon beinahe beendet:

«Ferner wurden noch folgende Anzeigen gemacht.

1. Daß die Brandassecuranzsteuer vom letzten Jahre 4 Cts von jedem hundert Frs. betrage, und die Steuerpflichtigen ihre dießfälligen Rata in der künftigen Woche an die Gmdraths-Canzlei zu entrichten haben.

2. Diejenigen Bürger welche sich für künftiges Jahr um die Nachtwächter- & Brunnenmeisterstelle bewerben, haben ihre Anmeldung dem H. Präsident Willj einzugeben.

Die Richtigkeit dieses Protocolls bezeugen
Der Präsident
Der Schreiber J. Grießer
Die Stimmenzähler
»

Es fehlen sowohl die Unterschriften des Präsidenten wie die der Stimmenzähler. Dem Schreiber Griesser vertraute man offenbar blind. Auch interessant: Nachtwächter und Brunnenmeister konnten offenbar nur Weiacher Bürger werden.

Massiv günstiger geworden

Was für uns Heutige am Punkt 1 erstaunlich und relevant ist: der Betrag von 40 Rappen pro 1000 Franken Versicherungssumme entspricht sozusagen dem langjährigen Mittel (0.4 Promille), das man im 20. Jahrhundert im Kanton Zürich als Hauseigentümer bezahlt hat.

Mit anderen Worten: Trotz sonst massiv galoppierender Teuerung ist die Gebäudeversicherungsprämie nominal fast gleich geblieben und seit dem Beginn des 1. Weltkriegs nicht auf mehr als das 10-fache angestiegen wie der sonstige Warenkorb.

Das verdanken wir dem enorm erfolgreichen Verbund aus Versicherung, Feuerwehr und Feuerpolizei, d.h. den vorbeugenden Brandschutzmassnahmen (vgl. dazu Weiacher Geschichte(n) Nr. 109: Fixe Entschädigung statt Liebessteuern. 200 Jahre Gebäudeversicherung des Kantons Zürich, 1808-2008.)

Quellen
  • Protokoll der Gemeindeversammlung. Archiv der Polit. Gde Weiach. Signatur: IV.B.01.03
  • GVZ-Versicherungsindex Prämie. Website der Gebäudeversicherung des Kantons Zürich

Montag, 25. Januar 2010

Die Post bringt's nicht mehr

Die Schweizerische Post bringt's nicht mehr. Der Service wird immer lausiger. Einst Selbstverständliches ist entweder gar nicht mehr, nur noch an ausgewählten, zentral gelegenen Orten oder dann nur zu unverschämt hohen Preisen erhältlich.

Dass die Postoberen entschieden haben, sich still und leise aus der Fläche zurückzuziehen und den gesetzlich vorgeschriebenen Service Public durch die Hintertüre abzuwürgen, das spürt man mittlerweile an allen Ecken und Enden - vor allem auf dem Land.

Der Grund für die Misere ist schnell erklärt: es ist die Auflösung des Postmonopols, welchem die technokratische Effizienz-Religion von weltfremden Managertypen und Liberalisierungsterroristen das Grab geschaufelt haben. Herrlich weit haben wir es gebracht.

Nur noch den Anschein einer Post

Alles das mussten die Weiacher schon vor geraumer Zeit feststellen, schliesslich kämpfte unser Postbüro jahrelang ums Überleben und seit bald einem Jahr haben wir nun nicht einmal mehr eine richtige Post, sondern nur noch ein Abbild davon (eine Postagentur System Ymago im Dorfladen).

Aber auch in grösseren Gemeinden wie Eglisau müssen Politik und Verwaltung feststellen (vgl. Zürcher Unterländer vom 9.1.2010), was mit der Post alles nicht mehr funktioniert:

«Die Schweizer Post bestätigt, dass unadressierte Massensendungen nach drei bis vier Tagen verteilt werden – nach drei bis vier Arbeitstagen wohlgemerkt. Dies könne für Todesanzeigen zu lange sein, räumt Mediensprecherin Nathalie Salamin ein. «Seit Dezember bieten wir für solche Sendungen aber auch A-Post an», erklärt sie. Dann lägen die Anzeigen nur einen Tag nach dem Aufgabetag in den Briefkästen.»

Kein Wunder, wenn sämtliche Briefe (selbst solche, die einen Adressaten innerhalb der Gemeinde erreichen sollen) in jedem Fall den langen Umweg über ein Verteilzentrum irgendwo in der Pampa machen müssen. Eglisau will deshalb eine eigene «Weibelorganisation» aufbauen.

Selber machen ist die bessere Lösung

Wiederaufbauen müsste man das eigentlich nennen. Denn solch kommunale Verträger gab es früher in jedem Dorf.

Weiach hatte noch bis zum unfallbedingten Rücktritt der Gemeindeweibelin Hildia Maag ein gut funktionierendes Verteilnetz für alles, was die Gemeinde im Laufe eines Jahres in die Briefkästen ihrer Einwohner verteilen muss. Hildia war 35 Jahre lang (von 1970 bis 2005) Gemeindeweibelin. Schon vorher lag dieses Amt einem Familienmitglied ob. Mit der Weibel-Familie Maag funktionierte das Vertragen über Jahrzehnte hinweg.

In den letzten vier Jahren wurde diese Aufgabe von der Post übernommen. Damit ist es nun aber schon wieder vorbei, wie man den Mitteilungen für die Gemeinde Weiach vom April 2009 entnehmen kann:

«STELLENAUSSCHREIBUNG

Die Umstellung bzw. der Abbau der Postdienstleistungen der schweizerischen Post in der Gemeinde bringt mit sich, dass die Zustellung von Massensendungen der Gemeinde in alle Haushalte nicht mehr befriedigt.

Dies veranlasst den Gemeinderat, die Funktion im Nebenamt

Postzustellung für Massensendungen in alle Haushalte der Gemeinde

(Früher: "Gemeindeweibel") nach einem Unterbruch von rund vier Jahren neu auszuschreiben.

Die Arbeiten umfassen im Wesentlichen:

  • Abholung der Sendungen im Gemeindehaus auf telefonische Voranzeige;
    Zustellung von unadressierten einseitigen Sendungen in alle Haushalte, wie
  • Todesanzeigen und Flugblätter, am nächsten Tag, ungefähr 8 Zustellgänge pro Jahr;
  • Zustellung der unadressierten mehrseitigen Publikationen in alle Haushalte, wie Mitteilungsblätter und Weisungen zu den Gemeindeversammlungen, auf festgelegten Termin, ungefähr 14 Zustellgänge pro Jahr
  • Zustellung von adressierten Sendungen in alle Haushalte, wie Steuererklärungen, Stimmcouverts, Steuer- und Gebührenrechnungen, auf festgelegten Termin, ungefähr 8 Zustellgänge pro Jahr.
Für diese Funktion werden gute Ortskenntnisse und zeitliche Flexibilität vorausgesetzt.

Ihre schriftliche Bewerbung richten Sie bitte an den Gemeinderat Weiach. Weitere Auskünfte über die Tätigkeit erteilt der Gemeindeschreiber P. Wunderli, Telefon 044 858 27 23 oder email peter.wunderli@weiach.ch.

Gemeinderat Weiach
»

Mittlerweile ist die Stelle längst besetzt. Mit einer Weiacherin natürlich (vgl. MGW, Juli 2009: Debora Zimmermann). Diese Lösung ist günstiger, flexibler, schneller und erst noch ökologischer als die Post.

Quellen
  • Stahel, T.: Botin einer stehen gebliebenen Zeit. Weiach / Hildia Maag ist die letzte Gemeindeweibelin im Zürcher Unterland. In: Zürcher Unterländer, 3. Oktober 2002 – S. 1 u. 7.
  • Wildmann, D.: Die letzte Gemeindeweibelin geehrt. Weiach / Hildia Maag hat jahrelang die Bekanntmachungen und das Mitteilungsblatt ins Haus gebracht. In: Zürcher Unterländer, 11. Juni 2005 – S. 7.
  • Gemeinderat Weiach. Stellenausschreibung "Gemeindeweibel". In: MGW, April 2009, S. 4-5.
  • Morf, K.: Die Einladung kommt, wenn die Feier vorbei ist. Eglisau: Privatpersonen sollen künftig Trauerzirkulare verteilen – und vielleicht noch mehr. In: Zürcher Unterländer, 9. Januar 2010.

Sonntag, 24. Januar 2010

Das Haus zum Vorder Berg

Für die Ausgabe Januar 2009 der Mitteilungen für die Gemeinde Weiach hat der Künstler Hans Rutschmann das folgende, im Winter 1999 entstandene Aquarell ausgewählt:

Beim Zeichnen sass Rutschmann im Garten des 1997 neu erstellten Hauses Oberdorfstrasse 45, dessen Zaun man im Vordergrund sieht. Linkerhand ist noch die Umhagung des Hauses Oberdorfstrasse 47 zu erkennen, das an der Stadlerstrasse liegt. In der Mitte des Vordergrundes liegt die neue Einmündung der Oberdorfstrasse in die Stadlerstrasse. Rechts im Mittelgrund die Bäume um den oberen Müliweiher.

Als es noch zwei «Höhberg» gab

Das eigentliche Sujet nennt man heute das Haus zum «Vorder Berg». Wie man auf der Wildkarte - der ersten modernen Landkarte des Kantons Zürich - sieht, war der an der alten Strasse nach Zürich gelegene heutige «Vorder Berg» noch Mitte des 19. Jahrhunderts zusammen mit dem «Hinder Berg» als «Höhberg» bekannt.

Dies war auch noch 1926 so, wie man einem Eintrag im Lagerbuch der Gebäudeversicherung entnehmen kann, in dem es um den heutigen «Vorder Berg» ging. Die Ortsbezeichnung des Hauses damals: «Im Höhberg».

Der heutige «Höbrig» hiess übrigens bereits vor über 150 Jahren ebenfalls «Höhberg», wurde aber auf der Wildkarte zwecks Abgrenzung als «Höhberg b. Stocki» bezeichnet. Es darf daher angenommen werden, dass der heutige Höbrig die jüngere Bezeichnung ist.

1834 in die Assekuranz aufgenommen

Die Gebäudeversicherung des Kantons Zürich (GVZ) führte den «Vorder Berg» unter den Assekuranz-Nummern 117 (bis 1895), 3 (1895-1955) und 40 (1955 bis heute).

Erbaut wurde das Haus nach den Akten der GVZ im Jahre 1834. Und 1926 war es «zu 80% rückversichert». Der Grund dafür liegt in der höheren Gefahr eines Totalverlustes, bedingt durch die Lage oberhalb des damaligen Reservoirsystems der 1877 in Betrieb genommenen Haus- und Löschwasserversorgung.

Noch ohne Polizeinummer

Das Wohnhaus mit Scheune verfügt bis heute über keine Polizeinummer, was in unserer Gemeinde mittlerweile zur Seltenheit geworden ist. Bislang war das noch erlaubt, aber wohl nicht mehr lange (vgl. WeiachBlog, 17. August 2008).

Bis heute lebt man in diesen Häusern gut ohne das in einer verstädterten Einheitsschweiz obrigkeitlich verordnete Strasse/Hausnummer-Diktat. Gemäss dem Siedlungsverzeichnis 2000 des Kantons Zürich wird dieses Haus (und nur dieses Haus) als «Vorder Berg» bezeichnet und umfasst 1 Wohnung mit 4 Personen (Stand Volkszählung 2000).

Quellen

Samstag, 23. Januar 2010

Zum Ende der Geschichte(n)

«Ende der Geschichte(n)» war ein Artikel im Tages-Anzeiger vom 30. Dezember 2009 überschrieben. Der Autor, Heinz Zürcher, machte damit eine hübsche Anspielung auf Francis Fukuyama und sein Diktum vom Ende der Geschichte. Natürlich war der Titel aber auf diese Ankündigung vom 17. Oktober gemünzt.

Nachstehend der vollständige Text aus dem Tagi, von WeiachBlog ergänzt mit Links auf die erwähnten Themen und Artikel:

Ende der Geschichte(n)

«Ulrich Brandenberger hat nach zehn Jahren seine 120. und vorerst letzte Historie über Weiach geschrieben. Stoff für mehr wäre genug vorhanden.

Weiach - In Regenjacke und festen Schuhen führt Ulrich Brandenberger an einem nasskalten Tag durch den Ortskern von Weiach. Zwischen Kirche und Oberdorf hat er die wichtigsten Gebäude des 1000 Einwohner kleinen Dorfes schnell abgeschritten. Doch die Geschichten aus dieser Gemeinde scheinen unendlich.

Der 42-jährige Lokalhistoriker schildert das Schicksal eines Bewohners, der sich über einen Hund in der Kirche amüsierte, vom Pfarrer blossgestellt und hinausgeschickt wird und sich kurz darauf umbringt. Er erzählt davon, wie die Weiacherinnen vor 300 Jahren ihr Dorf gegen die Franzosen verteidigen wollten; wie sie einen Knaben «auf ein Ross aufenzehrt und befohlen zu reiten», um Verstärkung zu holen.

Von lokalen Ereignissen schlägt er die Brücke zu Louis XIV, verweist auf Machtkämpfe zwischen Kirche und Kaisern, um in der Vergangenheit nach Beispielen der Intoleranz zu suchen und beim Minarettverbot zu landen. Dabei sprudeln Jahreszahlen aus ihm heraus, so selbstverständlich, als würden sie vor ihm aufleuchten. Er zitiert in mittelhochdeutscher Sprache. Und wenn von Kriegen die Rede ist, blitzen hinter seinen ovalen Brillengläsern die Augen, ballen sich seine Hände zu Fäusten und krachen von einem «Pchch!» begleitet symbolisch zusammen.

Eine Geschichte, die brüskierte

Die «Weiacher Geschichte(n)», die er zehn Jahre lang jeden Monat im Mitteilungsblatt veröffentlicht hat, sollten die Leser unterhalten. «Eine chronologische Abhandlung der Ortsgeschichte wäre zu langweilig gewesen», sagt er.

Angefangen hat seine Arbeit mit dem Ende einer Serie im Mitteilungsblatt. Sie handelte von Weiach betreffenden Dokumenten aus einer Quellensammlung über die Rechtsgeschichte des Neuamts, eines früheren Bezirks im Unterland. Einer der Beiträge erwähnte die Ehrverletzungsklage eines Weiachers, über den Dorfbewohnerinnen herumerzählten, er befriedige sich an Bäumen. Strenggläubigen geriet der Text in den falschen Hals, worauf die Serie beendet wurde. Sehr zum Bedauern Brandenbergers, der darauf beschloss, die Reihe selber fortzusetzen.

An manchen Texten arbeitete er mehrere Tage. Durch seine Recherchen begriff er die Entwicklung des Dorfes, erkannte Hintergründe - auch über die Schicksale der einen oder anderen Weiacher Familie, wobei er stets darauf bedacht war, keine alten Wunden aufzureissen. Seine Neugier führte ihn zu immer neuen Themen und Erkenntnissen; manche gar so weit, dass er eigene frühere Beiträge revidieren musste.

Als Geschichtsjournalismus mit wissenschaftlichem Anspruch beschreibt Brandenberger seine Tätigkeit. Die Quellenangaben seiner Informationen fehlen nie und nehmen je nach Artikel bis zu einer A4-Seite in Anspruch. Nur bei seinen 20 Beiträgen über «Geschichte und Geschichten aus dem Unterland» im Regionalteil des «Tages-Anzeigers» hat er darauf verzichtet
[Anmerkung: es waren nur 19 von 41 Beiträgen].

Sein 120. Beitrag der «Weiacher Geschichte(n)» wird vorerst sein letzter sein. Der Druck, jeden Monat über ein neues Thema zu schreiben, sei zu gross geworden, sagt er. Ganz ausschliessen wolle er eine Fortsetzung aber nicht. Das Blättern in alten Akten wird ihn weiterhin beschäftigen. So, wie ihn Historisches schon immer interessiert hat.

In der Vergangenheit zu stöbern, heisst für ihn auch daraus zu lernen, wofür andere mit teuren und schmerzlichen Erfahrungen bezahlen mussten. Dass er Umweltwissenschaften und nicht Geschichte studierte, hatte mit den Ereignissen in Tschernobyl und Schweizerhalle zu tun.

Hauptberuflich analysiert Brandenberger Führungsabläufe für die Bundesverwaltung. Im Militär war er Presse- und Informationsoffizier eines Zürcher Infanteriebataillons. 2001 leistete er einen halbjährigen Kfor-Einsatz in Kosovo und Mazedonien.

Politisch versucht Ulrich Brandenberger in seinen Geschichten möglichst neutral zu sein. Anders in seinem Weiach Blog, in dem er sich auch über den Fluglärm beklagt und dafür heftige Kritik aus dem Süden hinnehmen musste. Er bezeichnet sich als aktiven Bürger, dem aber die Zeit für ein politisches Amt fehlt. In seiner Freizeit nimmt nebst seinem Hobby auch seine Lebenspartnerin einen wichtigen Platz ein.

Von präpotenten Schmierereien

So lokal seine Geschichten aus Weiach sind, finden sich darin doch immer wieder Hinweise auf das Weltgeschehen. Natürlich habe sich durch seine Arbeit auch die Verbundenheit mit dem Dorf gestärkt. Er, der im Alter von acht Jahren von Eglisau nach Weiach zog, könne sich aber durchaus vorstellen, Weiach zu verlassen. Nur in einer Stadt wolle er nicht leben.

Als die Tour bei der Bushaltestelle vor dem Gemeindehaus endet, deutet Brandenberger auf einen gesprayten Schriftzug zu Ehren des verstorbenen Rappers 2Pac. «Dazu habe ich mir eine Bemerkung in meinem Blog nicht verkneifen können», sagt er. «Mit dieser präpotenten Schmiererei», schreibt er dort, «sind nun also die US-amerikanischen Gangsta-Rapper auch bei uns angekommen. Schöne neue globalisierte Welt. Den Drogenhandel haben wir schon. Nur die Schiessereien fehlen noch. Weiach wird Agglo.»

Wer die jüngste Geschichte des Dorfes aufzeichnen wird, ist unklar. Brandenbergers «Weiacher Geschichte(n)» und seine Blog-Einträge dürften aber in die vollständige Überarbeitung der Chronik Weiachs einfliessen.

Die «Weiacher Geschichte(n)» sind einsehbar auf weiachergeschichten.kirche-weiach.ch. Dort findet man auch den Link auf den Weiach Blog von Ulrich Brandenberger.
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Quellen

Freitag, 22. Januar 2010

«Zebrastreifen braucht es hier nicht»

Etliche Monate ist es nun schon her, seit die verschlankte neue Stadlerstrasse und der neue Spielplatz am 26./27. Juni 2009 mit einem Dorffest auch seitens der Gemeinde offiziell dem Betrieb übergeben wurde.

Neu ist nicht nur der Strassenbelag (jetzt ohne Schlaglöcher und Panzersperrenschächte). Die Strasse weist bei der Bushaltestelle Gemeindehaus auch eine aus schiefen Ebenen konstruierte Betoninsel auf.

Und noch etwas fällt auf: es gibt an der gesamten Stadlerstrasse keinen einzigen Fussgängerstreifen (vulgo: Zebrastreifen) mehr.

Das rief Eltern von Primarschülern auf den Plan, die sich bei der Gemeinde beschwerten, dies sei gefährlich. Nur über einen Streifen könnten die Kinder sicher die Strasse überqueren, so argumentierten sie.

Die Strassenverkehrsverantwortlichen des Kantons wie auch der amtierende Gemeindepräsident Gregor Trachsel sehen das allerdings ganz anders.

Grundsatzentscheid gegen Streifen im Frühling 2009

Bereits in den Mitteilungen für die Gemeinde Weiach vom April 2009 war auf Seite 4 zu lesen: «Im Laufe der Bauarbeiten hat der Gemeinderat im Einvernehmen mit der kantonalen Baudirektion und der Kantonspolizei den Grundsatzentscheid gefällt, dass auf der Stadlerstrasse nach der Belagserneuerung keine Fussgängerstreifen markiert werden.» Und dabei wollte der Gemeinderat bleiben.

Vor einigen Wochen war nun eine ganze Delegation von Vertretern des Kantons und der Polizei in unserer Gemeinde und begutachtete die Situation an der quer durch das Dorf führenden Stadlerstrasse. Das Fazit: es bleibt dabei. Keine Zebrastreifen.

«Mir händ kä Ahnig was Vercheer isch»

Das Merkblatt Fussgängerstreifen – Möglichkeiten und Grenzen der «bfu - Beratungsstelle für Unfallverhütung» erklärt die Beweggründe von Kanton und Gemeinderat:

«Zur Erhöhung der Sicherheit von Querungen für den Fussverkehr wird oft die Markierung eines Fussgängerstreifens verlangt. Laut Gesetz regelt dieser in erster Linie den Vortritt zu Gunsten des Fussverkehrs. Fussgänger erwarten dementsprechend beim Überqueren der Strasse auf der gelben Markierung ein erhöhtes Mass an Sicherheit. Aus diesem Grund dürfen Fussgängerstreifen nur dann eingerichtet werden, wenn dadurch die Sicherheit auch tatsächlich erhöht wird.»

Genau diese Bedingung aber ist an der Stadlerstrasse nach Meinung der Experten des Kantons nicht erfüllt, was das Merkblatt wie folgt erläutert:

«Fussgänger sind gesetzlich verpflichtet, die Fussgängerstreifen zu benützen, die näher als 50 m von der gewünschten Querungsstelle liegen. Bei wenig Verkehr besteht die Tendenz, dass sie die Strasse überall queren und keine Umwege in Kauf nehmen, um einen Fussgängerstreifen zu benützen. Dieses Fehlverhalten führt zu Sicherheitsproblemen.»

Und das ist bei der Stadlerstrasse tatsächlich so. Denn mit Ausnahme von einigen Stosszeiten ist der Verkehr in der Regel nicht wirklich dicht.

Wer hat sich denn damals, als es den Fussgängerstreifen auf Höhe von Amtsrichters Edis Haus gelegenen Streifen noch gab, schon immer daran gehalten, wenn er aus dem Bus gestiegen ist und die Strasse Richtung Chälen überqueren musste? Wenn Kinder in der Nähe waren konnte man als Erwachsener nicht gut darauf verzichten, schön brav den Zebrastreifen zu benutzen, ohne Glaubwürdigkeitsverlust zu riskieren.

Und so kommt die bfu zum Schluss: «Deshalb ist ein Fussgängerstreifen nur sinnvoll, wenn die Motorfahrzeugmengen am gewünschten Standort nicht zu klein sind. Die entsprechenden Werte sind ebenfalls der VSS-Norm SN 640 241 zu entnehmen.»

Neu Tempo 50 - nicht mehr 60

Das Anliegen stiess bei den Verkehrsexperten schon deshalb nicht auf Verständnis, weil seit der Umgestaltung der Stadlerstrasse die Kantonspolizei neu Tempo 50 für die gesamte Länge der Strasse signalisiert hat. Früher waren da noch 60 erlaubt.

Der gefühlte Unterschied ist aber offensichtlich nicht allzu gross, was Trachsel auch verstehen kann. Schliesslich rumple es immer noch vernehmlich, wenn grosse, containerbeladene Sattelschlepper die Strasse benutzten.

Doch er ist überzeugt: «S'bruucht jetzt echli Ziit», bis die Leute sich an die neuen Verhältnisse gewöhnt hätten.

Fragt sich nur, ob sich die Eltern neu schulpflichtiger Dreikäsehochs von abstrakten Normen beeindrucken lassen. Es wird wohl nicht der letzte Ortstermin gewesen sein. Denn - so die Volksmeinung: Auf dem Zebrastreifen sind die Kinder sicher.

Donnerstag, 21. Januar 2010

Vom Informationsfilm zur Snowboard-Kuh

Wer kennt sie nicht, die virtuos mit dem Fussball jonglierende, schwarz-weisse Kuh namens Lovely? Im Fernsehen, auf Plakatwänden und in Printmedien ist diese Werbefigur der Milchwirtschaft seit Jahren unübersehbar präsent und zaubert mit ihren Auftritten ein Lächeln auf die Gesichter der Konsumenten. Kurz: die Kuh ist Ku(h)lt.

Für Milch wird aber nicht erst seit ein paar wenigen Jahren Werbung gemacht. Der Propagandafeldzug hält mittlerweile schon mindestens 90 Jahre an, wie man auf der Website von Swissmilk sieht. Filme waren schon vor Jahrzehnten ein Mittel zum Zwecke der Verkaufsförderung.

Propagierung vermehrten Milch-Verbrauchs

Auch in der Weiacher Jahreschronik 1960 hat Walter Zollinger so eine Werbeveranstaltung erwähnt:

«Die Milchgenossenschaft Weiach veranstaltete am 21. Januar abends, [...] im "Sternen" einen Filmabend zur Propagierung vermehrten Milch- und Milchprodukte-Verbrauchs (siehe Programm im Anhang). Leiter der Veranstaltung war ein Vertreter des Milchverbandes in Winterthur».

Die Einladung dazu landete in den Briefkästen und wurde von Zollinger seiner Jahreschronik beigelegt (zum Vergrössern anklicken):


Gotthelf-Film nicht jugendfrei

Interessant ist die Umrahmung, die dieser PR-Veranstaltung gegeben wurde. Gratis Z'nacht und Wettbewerb dürften etliche Dorfbewohner angelockt haben.

«Film-Abend
Donnerstag, 21. Januar 1960, 20 Uhr, Gasthof Sternen, Weiach

PROGRAMM
- Einführung zum Farbtonfilm
- Farbtonfilm «Der weisse Segen»
- Diskussion
- Zwischenverpflegung gratis
- Wettbewerb
- Farbtonfilm zur Unterhaltung
In den Pausen Musik auf Tonband

ALLE sind herzlich willkommen!

Mit freundlichem Gruss
Milchgenossenschaft Weiach
Milchverband Winterthur
»

Dass hier ausdrücklich ALLE willkommen waren ist ein indirekter Hinweis auf die Kindertauglichkeit des gezeigten Materials.

Andere Filme - wie der vom Schul- und Volkskino am 3. Februar 1960 im Saal des Restaurants Bahnhof gezeigte Tonfilm "Käserei in der Vehfreude», ein Gotthelf-Film - waren ausdrücklich «für die Erwachsenen». Das dort Gezeigte wurde offenbar vor 50 Jahren als nicht jugendfrei taxiert. Der erwähnte Film entstand 1958 unter der Regie von Franz Schnyder.

Quelle
  • Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1960 - S. 16 u. 19.
  • vgl. für die vollständige Sammlung: Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach [Jahrgang].

Mittwoch, 20. Januar 2010

Religionsunterricht in der Schule? Null Interesse.

Für den Visitationsbericht zu den Jahren 1912-1923 stellte der Kirchenrat des Kantons Zürich auch Fragen über den Bezug von Kirche und Schule.

Diese Fragen sind nicht ganz ohne Brisanz, war doch der Schullehrer bis weit ins 19. Jahrhundert hinein dem Pfarrer unterstellt. Erst mit der liberalen Reform von 1833/34 wurde die Schule dem direkten Zugriff der Pfarrherren entzogen. (vgl.: Weiacher Geschichte(n) 114: Aufstand wegen neumodischen weltlichen Schulbüchern. Die Weiacher im «Stadlerhandel» vor 175 Jahren. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Mai 2009)

Projekt «Religionslose Schule» wirbelt keinen Staub auf

In Weiach scheint die Bevölkerung einige Jahrzehnte nach der Einführung der kantonal gelenkten Volksschule mehrheitlich die Auffassung vertreten zu haben, eine weitgehende Trennung von staatlicher Schule und Kirche sei in Ordnung. Bildung auf der einen, Religion auf der anderen Seite. Dies kann man zumindest aus den Antworten auf die Fragen 20 und 21 herauslesen.

«Ad 20. Das Verhältnis zwischen Schule u. Kirche ist hier ein freundschaftliches u. gutes.»

«Ad 21. Die Bestrebungen, den Religionsunterricht aus der Schule zu beseitigen, haben bei uns keinen Staub aufgewirbelt, ebenso nicht das Postulat von konfessionslosen Schulen.»

Anscheinend war man der Meinung, mit der Sonntagsschule und dem Konfirmationsunterricht werde den religiösen Bildungsbedürfnissen in genügender Weise Rechnung getragen.

Weitere Artikel zum Thema Visitationsbericht

vgl. die Übersichtsseite auf dem Portal der Weiacher Geschichte(n)

Dienstag, 19. Januar 2010

Volkshochschule mit guter Kristallkugel

Vor 50 Jahren war die Volkshochschule (VHS) noch eine sehr lokale Angelegenheit. Das hatte auch damit zu tun, dass die Landbevölkerung noch nicht so mobil war wie heute. Auch regelmässige Postautoverbindungen gab es noch nicht. So mussten halt die Referenten zu den Zuhörern kommen - wie der Prophet zum Berg.

Dass lokale Verankerung den Blick für weltweite Entwicklungen nicht trüben muss, bewies der Vorstand der VHS Stadel mit seiner Themenwahl für 1960, wie die Jahreschronik von Walter Zollinger berichtet:

«Der Volkshochschulkurs des Kreises Stadel-Neerach-Bachs-Weiach wählt zum Thema dieses Winters: "Asien, Kontinent der Zukunft" (je Dienstagabend zwischen dem 19.1. und 16.2.).»

Mittlerweile wird die Entwicklung der Welt(wirtschaft) vor allem in Asien bestimmt, zbd der Niedergang der Vereinigten Staaten von Amerika als Supermacht dürfte nicht mehr wegzudiskutieren sein. Asien IST der Kontinent der Zukunft, ob einem das passt oder nicht.

Weiach in der Region Bülach

Zurück zum Organisator der Vortragsreihe, von der WeiachBlog leider kein Programm vorliegt:

Heute ist das von den Gemeinwesen subventionierte Bildungswerk VHS in unserem Kanton auf übergeordneter Ebene (zur Volkshochschule des Kantons Zürich) zusammengefasst und teilweise regional organisiert.

Weiach hat sich der Region Bülach angeschlossen (für deren Angebote vgl. die Website Volkshochschule Bülach).

Quelle
  • Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1960 - S. 19.
  • vgl. für die vollständige Sammlung: Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach [Jahrgang].

Montag, 18. Januar 2010

Der Januar schwang den Wasserkübel

Hochwasser sind in unserem Dorf zwar nicht an der Tagesordnung, aber ein- bis zweimal pro Jahr muss die Feuerwehr doch ausrücken um die Überschwemmung der Hauptstrasse Nr. 7 nordwestlich des Dorfkerns zu beseitigen. Das war nicht immer so.

Im 19. Jahrhundert konnte das halbe Dorf von den noch nicht unter den Boden verlegten Bächen in Mitleidenschaft gezogen werden (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 93: Holz über die Bäche legen ist verboten. Als die Dorfbäche noch regelmässig Sorgen bereiteten.)

Viel Regen in vegetationsarmer Zeit

Die Weiacher bekamen vor 100 Jahren sehr deutlich vor Augen geführt, welchen Nutzen die ab 1907 durchgeführten Bach-Eindolungen haben. Denn 1910 war ein ausserordentliches Jahr, wie die Dissertation von Albert Leemann aus dem Jahre 1958 berichtet (vgl. Quelle):

«Das Jahr 1910 hat der Gemeinde Weiach eine übernormale Regenmenge gebracht und bedeutende Wasserschäden verursacht; 1157 mm sind in Kaiserstuhl gemessen worden. (Mittlere Jahresmenge 1901-1953, mit Ausnahme der Jahre 1904-1908: 949,6 mm; Minimum: 1949 mit 593 mm; Maximum: 1940 mit 1357 mm.) Zu dieser großen Regenmenge trägt bereits ein niederschlagsreicher Januar bei; am 18.1. fallen 42,4 mm, am 19.1. noch 34,9 mm. Bedeutende Niederschlagsmengen zur vegetationsarmen Zeit sind eine günstige Ausgangslage für eine intensive Erosion und Denudation.» (Unter Denudation versteht man grossflächige Erosion z.B. durch Abrutschen ganzer Hänge.)

Aufzeichnungen der Meteorologischen Zentralanstalt

Zu diesem Abschnitt fügte Leemann die Fussnote 7a hinzu. Sie lässt die Quellen sprechen. Als erste Quelle kommen die «Ergebnisse der täglichen Niederschlagsmessungen auf den Meteorologischen- und Regenmeß-Stationen in der Schweiz 1901-1953» aufs Tapet. Sie wurden von der 1881 in der heutigen Form per Bundesratsbeschluss gegründeten «Meteorologischen Zentralanstalt», der heutigen «Meteo Schweiz» gesammelt und publiziert:

«Das Jahr 1910 wird in der Witterungsgeschichte unseres Landes hinsichtlich des Regimes der Niederschläge immer denkwürdig bleiben. Zu verschiedenen Malen hat es der Nordseite der Alpen ganz außerordentliche Regenfluten gebracht; so im Januar, im Juni und im November.... Blieb dabei unser Land auch von einer Katastrophe im Umfange der im Seinebecken auftretenden verschont, so war doch nach den Regengüssen vom 19. 1. vielerorts Wasserschaden zu verzeichnen. Am 18.1 traten äußerst heftige Westwinde und starker Regen auf; letzterer hielt auch am 19.1. noch an, an welchem Tage noch größere und im allgemeinen die größten je im Januar gefallenen Tagesmengen gemessen wurden.»

Immer bedenklichere Regenschauer

Auch die lokalen Zeitungen fanden das Ereignis bemerkenswert. Diejenige aus dem «Wehnthaler» vom 21. Januar 1910 hat Leemann ebenfalls in Fussnote 7a festgehalten:

«Niederglatt. Die Regenmeßstation hat für den letzten 19. Januar eine Regenfallmenge von 50 mm zu registrieren. Diese tägliche Regenintensität übersteigt selbst die besten Regenleistungen im Regenjahr 1909. Es wird mit den Regenschauern immer bedenklicher. Seit vielen Jahren wurde die riesige Wasserfülle wie der 19. Jan. sie uns bescherte, nie mehr erreicht. Nachdem der Dez. 1909 ziemlich in Niederschlägen gemacht hatte und eine Regenmenge von total 104,2 mm spendete, hätte nun der Januar nicht nötig gehabt, derart den Wasserkübel zu schwingen....»

Quelle

  • Leemann, A.: Revision der Würmterrassen im Rheintal zwischen Diessenhofen und Koblenz. In: Geographica Helvetica, XIII (1958) – S. 119.

Sonntag, 17. Januar 2010

Feldprediger günstig beurteilt

Der Kirchenrat des Kantons Zürich wollte sich 1924 auch über die Reputation der Feldprediger (heute: Armeeseelsorger) ins Bild setzen.

Um evangelisch-reformierter Feldprediger zu werden, muss man ordinierter Pfarrer sein. Und deshalb ist es verständlich, dass sich die Kirchenoberen auch für das öffentliche Image dieses militärischen Dienstzweiges interessierten.

Ob der Weiacher Pfarrer Kilchsperger selber auch die Hauptmannsuniform anzog und in einem Regimentsstab eingeteilt wurde, ist nicht klar, aber eher unwahrscheinlich, da er schwerhörig war.

Jedenfalls äussert er sich unter Punkt 18 des Kirchenvisitationsberichts 1912-1923 auch zur Wirkung von weltkriegsbedingten Truppenstationierungen auf die öffentliche Moral:

«Ad 18. Da wir in Weiach keine Einquartierung von Truppen hatten, blieben wir vor manchen üblen Folgen verschont, während sich in Kaiserstuhl, wo lange Grenzbewachungstruppen lagen, unter Erwachsenen u. unter der Jugend demoralisierende Wirkungen sich zeigten.»

Im Zweiten Weltkrieg war das dann anders. Damals waren auch in Weiach Truppen stationiert, vor allem Teile des Gz. Füs. Bat. 269 (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 96: «E luschtigi Söili-Jagd». Aus dem Tagebuch der Gz. Füs. Kp. I/269 zu Beginn des 2. Weltkriegs.).

An den Armeeseelsorgern selber gab es aber nicht viel auszusetzen: «Im Allgemeinen urteilt man hier über die Feldprediger u. ihre Tätigkeit günstig.»

Weitere Artikel zum Thema Visitationsbericht

vgl. die Übersichtsseite auf dem Portal der Weiacher Geschichte(n)

Samstag, 16. Januar 2010

Januarwetter 1960. «Scheusslich kalt»

Der Weiacher Primarschullehrer Walter Zollinger hat für die Jahre 1952 bis 1967 ein detailliertes Wetter-Tagebuch geführt - Notizen, die Eingang in die entsprechenden Jahreschroniken gefunden haben. Zu finden sind sie gleich nach der Einleitung unter dem Berichtspunkt «WITTERUNG/LANDWIRTSCHAFT».

Lesen Sie hier, was der Januar vor 50 Jahren den Weiachern brachte:

«Januar 1960: Das teilweise regnerische, auf alle Fälle aber trübe Wetter der letzten Dezemberwoche 1959, setzte sich die ersten 5 Tage des neuen Jahres noch fort. Der 6.1. war dann ein ausnahmsweise schöner Tag; aber vom 7. an kam endlich der "richtige Jänner" zum Vorschein. Es wurde kalt und immer kälter (-4°, 0°, -7°, -6°, -12°) bis zum "Höhepunkt" von -20°C am Morgen des 14. Januar. "Scheusslich kalt" heissts im Notizheft. Zum Glück hatten die ersten Tage dieser kalten Woche etwas Schneefall gebracht, sodass wenigstens der Boden einigermassen geschützt blieb! Sonst war’s in dieser Zeit trotzdem meist klar. Die Kälte hielt noch an bis zum 17.1. (-18° am Morgen), dann begann sie abzuflauen auf "nur" noch -7°, -5°, 0° am 21.1.

Aber in die Häuser hatte sie sich eingenistet, sodass man die Wohnungen kaum mehr genügend zu erheizen vermochte und die Wasserleitungen einzugefrieren drohten. Ich habe unterm 17.1. notiert: "Heute bei uns an 7 (sieben) Orten geheizt: unsere Stube, Frl. Griessers Stube, Tante Alines Stübli, beide Abtritte (el.) und das Treppenhaus (Oelöfeli)." Da wäre eine Zentralheizung ungemein bequemer gewesen!

Die zweite Januarhälfte ist gekennzeichnet von sehr viel Nebel, etwas Regen- und Schneefall oder zum mindesten trüber, dunkler Tage mit Morgentemperaturen zwischen -2° und -4°C. Die beiden letzten Jännertage brachten dann nochmals Sonne, wenigstens am Nachmittag des 30. bzw. gegen Abend des 31.1.
»

Fazit: Um den Isolationswert von Fassade und Fenstern war es damals bei der Liegenschaft Müliweg 4 offensichtlich nicht allzu gut bestellt.

Quelle
  • Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1960 - S. 2.
  • vgl. für die vollständige Sammlung: Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach [Jahrgang].

Freitag, 15. Januar 2010

In Weyach nachfrankierter Brief

Am 17. März 1881 ging ein Brief vom Gemeindeamt Windlach an den in Weiach wohnhaften Rudolf Vogel. Und offensichtlich wurde das Porto dieses Briefes vom Empfänger bezahlt, sonst hätte nicht die Post Stadel ohne Marke und die Post Weyach zwei Porto-Marken à je 5 Centimes gestempelt.


Was den Inhalt des Briefes anbelangt müsste man den Erwerber des Loses 2430 fragen. Im Katalog der in Kaiseraugst, Kanton Aargau ansässigen Firma Philacol, R. Clerc ist obiger Brief wie folgt beschrieben:

«1878-1882, 5 C. blau/d'blau, waagerechtes Paar auf Briefumschlag von STADEL 17.III.81 nach Weyach». Der Ausruf der Auktion lag bei 60 Franken. Erzielter Verkaufspreis: 70.-

Quelle

Donnerstag, 14. Januar 2010

Café philosophique in Weiach

Heute abend, Donnerstag, 14. Januar um 20 Uhr, wird unser Dorf von der Muse Kalliope geküsst. Sie ist zuständig für die epische Dichtung, die Rhetorik, die Philosophie und die Wissenschaft. Was aus diesem Strauss zum Zuge kommt, zeigt die Ankündigung im Terminkalender der Kirche Weiach:

«Café philosophique
in der Caffè-Bar Chamäleon
Philosophieren mit Christian Weber
Siehe Anzeige
»

Für die Anzeige muss man etwas suchen und wird dann im Download-Bereich fündig.

Auf der Einladung geben die Initianten, Christa Surenmann und Christian Weber folgende Gedankenanstösse:

«Das Café philosophique möchte die Möglichkeit schaffen, unser Menschen- und Weltbild zu ergründen, zu überdenken und zu bilden. Im Vordergrund unserer Idee steht, die öffentlich-philosophische Kommunikation zu fördern. Selbstverständlich kann man auch nur zuhören, ohne sich aktiv zu beteiligen. Die Caffè-Bar Chamäleon möchte dazu die Plattform bieten.

Zum Mitphilosophieren gilt, ausser dem Respekt vor der Meinung des anderen, "das eigene Menschsein, das eigene Schicksal und die eigene Erfahrung (…) als genügende Voraussetzung" (Karl Jaspers).

Wir starten unter der Leitung von Christian Weber am Donnerstag den 14. Januar 2010 um 20.00 Uhr in der Caffè-Bar Chamäleon.

Wir freuen uns auf viele Interessierte.
»

Innovativ ist das junge Unternehmen an der Büelstrasse 18, das muss man ihm lassen. Nach den Süssigkeiten für den Gaumen nun also Anregung für die Gehirnwindungen. So könnte aus einem simplen, bald 200-jährigen Speicher eine kleine «Denkmanufaktur» entstehen. Man darf gespannt sein auf die Reaktionen der Besucherinnen und Besucher.

N.B. Auch der Tages-Anzeiger Ausgabe Unterland weist im Agenda-Teil vom 13. Januar, S. 25 auf den Anlass hin:

«Weiach
Café philosophique.
Die öffentlich-philosophische Kommunikation soll im Café philosophique gefördert werden. Man muss nicht mitreden, man darf auch nur zuhören.
Caffè-Bar Chamäleon, Bülstr. 18. 20h.
»

«Bülstrasse». Steht so in der Zeitung. Auf der Website des Chamäleon findet man die Schreibweise «Büelstrasse». Falsch abgeschrieben? Falsch herausgehört? Fazit: Mundartschreibweisen bei Strassennamen haben ein hohes Fehlerpotential. Ist das der Preis für die Heimatverbundenheit? Vielleicht sollte man auch einmal darüber philosophieren.

Mittwoch, 13. Januar 2010

Junge Deutsche und Österreicherinnen importiert

Im WeiachBlog-Artikel vom 3. Oktober 2009 sind die Inhalte der Einleitungen zu den Chroniken 1952-1967 wiedergegeben.

Gemeint sind die Jahreschroniken - unpublizierte, nur in Form von Typoskripten im Ortsmuseum Weiach und in der Zentralbibliothek Zürich einsehbare, ebenfalls von Walter Zollinger verfasste Dokumente - nicht die «Chronik 1271-1971», von der am 29. Dezember 2009 im WeiachBlog die Rede war (Von Gesamtausgaben und Chroniken).

Die Einleitung zum Jahr 1960 habe ich wie folgt zusammengefasst: «Demographische Entwicklung. Gastarbeiter, Einheiratung von deutschen und österreichischen Bauernmädchen, Folgen der Motorisierung – Seelenlosigkeit?». Doch bilden Sie sich selber ein Urteil:

«Die nachfolgende Chronik 1960 scheint nun doch etwas umfangreicher geworden zu sein, als ihre Vorgänger. Es „läuft“ also endlich doch etwas mehr als früher. Ob dieses Mehr aber dem Dorf und seinen alteingesessenen Bewohnern zur Freude und der heranwachsenden Jugend vor allem zum Vorteil gereicht, ist eine andere Frage.

Der in den letzten Jahren mehr und mehr einsetzende Zuzug auswärtiger Familien, vor allem der Fremdarbeiter oder wie es jetzt heisst, der „Gastarbeiter“, vermag die dörfliche Einheit doch nach und nach gewiss zu verändern.

Die Einheirat einer ganzen Reihe von deutschen und österreichischen jungen Frauen in ehedem währschafte Weiacher Bauernfamilien (weil deren Söhne leider unter unsern einheimischen Töchtern ja keine mehr finden, die Bäuerinnen werden wollen) muss doch den Charakterzug der kommenden Generation ganz bestimmt beeinflussen.

Die zunehmende Motorisierung, nicht nur des Verkehrs, sondern vor allem auch der landwirtschaftlichen Betriebe, entzieht den jungen Bauern samt seiner Familie mehr und mehr dem Verwachsensein mit Grund und Boden. Es gibt doch ohne weiteres ein anderes Gefühl, wenn man beim Pflügen, Säen, Mähen u.s.w. mit beiden Füssen auf dem festen, heimatlichen Boden steht u. geht, als so vom hohen Stahlsitz einer Maschine herab gleichmütig zuzusehen, wie die Körnlein in die Furchen rieseln oder wie Halmreihe um Halmreihe automatisch umgelegt wird.

Unwillkürlich kommt einem da ein Vers Huggenbergers zu Sinn:

„Vordem ward dem Mähder sein Recht;
keck schritt einher der letzte Knecht!
…………………………………………..
Jetzo muss er sich weidlich schicken,
muss hasten u. laufen, muss flicken u. zwicken!“

Die Arbeit des Bauern wird so gleichsam „seelenlos“, so fürcht ich sehr!
»

Der als «Bauerndichter» bekanntgewordene Alfred Huggenberger (1867-1960) wuchs in der Zürcher Gemeinde Bertschikon östlich Winterthur auf und arbeitete zeitlebens in der Landwirtschaft.

Schon vor 50 Jahren war es also für junge Bauern alles andere als einfach, eine Frau zu finden. Da hat sich kaum etwas verändert.

Anmerkung: Geschrieben hat Zollinger den Text spätestens im Sommer 1962, als er das Typoskript fertigstellte und bei der Zentralbibliothek einreichte. Bis 1987 blieb es dort unter Verschluss und ist seither für die Forschung zugänglich.

Quelle
  • Gemeinde Weiach. Chronik des Jahres 1960 - S. 2.
  • vgl. für die vollständige Sammlung: Zollinger, W.: Jahreschroniken Weiach 1952-1967. Originale: Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich. Signatur: G-Ch Weiach [Jahrgang].

Dienstag, 12. Januar 2010

Minenschachtbewacher: Gruss nach Schangnau

Noch bis am 17. Januar 2010 kurz vor 21 Uhr läuft auf der Auktionsplattform Ricardo die Versteigerung einer Ganzsache aus dem 2. Weltkrieg, bezeichnet als: Ansichtskarte Weiach 1940 Flieger-Postkarte.

Die Ansicht, die man da zu Gesicht bekommt erinnert an eine den Lesern der «Chronik 1271-1971» von Walter Zollinger bekannte Aufnahme. Diese hier:


Wenn man die Verteilung der Obstbäume rund ums Dorfzentrum, sowie die Farbe und Lage der Äcker auf dem damals noch nicht von Kiesgruben umgepflügten Hard genau betrachtet, kann man leicht feststellen, dass diese Aufnahme identisch ist mit derjenigen auf der zu versteigernden Postkarte:


Ein Vergleich mit aktuellen Bildern und Karten zeigt, dass die Waldfläche im Hard grösser ist als heute. Dieser Eindruck täuscht nicht, denn:

«Im hintem Hard wurden, ähnlich wie 1846/47, nochmals in den Jahren 1942/43 rund 10 Jucharten Wald gerodet, um dann als zusätzliches Ackerland verpachtet und bepflanzt zu werden.» (vgl. Kapitel 20. Jahrhundert in: Zollinger, Chronik Weiach 1271-1971, Dielsdorf 1972)

Und diese Rodung kann man heute noch als deutlich herausgeschnittene Ecke erkennen, welche gegenüber dem Ofenhof liegt. Schon aus diesem Grund muss die Aufnahme vor 1942 entstanden sein.

Datierung trotz Feldpoststempel

Für uns fast noch interessanter ist die Hinterseite der Karte. Sie beweist nicht nur, dass die Aufnahme vor 1940 entstanden sein muss, sie erzählt auch noch etwas über die Militärgeschichte von Weiach.

Die vom Herausgeber, der Swissair Photo A.-G., als «Flieger-Postkarte» unter der Bezeichnung Dep. 5843 geführte Postkarte ist mit der Angabe «Weiach 500 m» versehen, was wohl die ungefähre Flughöhe meint, denn Weiach selber liegt auf rund 370-390 Meter über Meer.


Wie kommt man nun von einem undatierten Feldpoststempel der Füsilier Kp III/64 auf die Jahrzahl 1940? Einzig über die Datierung durch den Verfasser: «Weiach den 15. Nov. 1940».

Adressiert hat er die Karte an «Familie Egli, Kirchbühl, Schangnau, Kt. Bern». Dort, an einem Südhang westlich des Dorfes, wohnen bis heute Personen dieses Namens.

Mitte November 1940: Bewachung von Minenschächten und Panzersperren

Der Text ist aus militärhistorischer Sicht höchst interessant:

«Werhte Familie!

Auch ein zeichen von mir, sind gegenwärtig in Weiach. Haben hier Mieneschächt und Tankbarikaden zu bewachen im Tag 4. Stunden. Bleiben nur bis Montag hier. Bin gesund, u. hoffe das von Euch.

Drag. Blatt[..] Landw. Kp 34 2. Zug
» [Unklar, ob korrekt gelesen].

Die Einheit, zu welcher der kartenschreibende Dragoner gehörte, war eine der vielen Ablösungen, die nach dem Grenzfüsilierbataillon 269 in Weiach einquartiert wurden (Für die ersten Kriegsmonate, vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 96: «E luschtigi Söili-Jagd». Aus dem Tagebuch der Gz. Füs. Kp. I/269 zu Beginn des 2. Weltkriegs.)

Ein weiteres Mosaiksteinchen auf dem Weg zu einer Geschichte unserer Gemeinde zur Zeit des 2. Weltkriegs.

Montag, 11. Januar 2010

Eyer-Fresser! Schimpfworte Anno 1754

Im ältesten erhalten gebliebenen Stillstandsaktenbuch der Kirchgemeinde Weiach (also dem Protokoll der Kirchenpflege) hat der damalige Pfarrer, Hartmann Escher, der Nachwelt ein Zeugnis über seinen Versuch hinterlassen, die Gemeinde Weiach mit harter Hand auf Vordermann zu bringen. WeiachBlog berichtete vor geraumer Zeit darüber (vgl. Links ganz unten).

Andere Zeiten, andere Schlötterlig

Nun waren es vor 250 Jahren gewiss andere Zeiten als heute; das Ancien Régime sass noch im Sattel und versuchte das Heft in der Hand zu behalten. Offensichtlich war da aber selbst bei höhergestellten Untertanen beträchtlicher Unmut vorhanden, der sich - juristisch ausgedrückt - in Form von Verbalinjurien äusserte.

So jedenfalls kann man den folgenden Protokoll-Eintrag vom 13. Oktober 1754 erklären. An diesem Tag wurde nämlich Stillstand gehalten und

«vor Denselbigen aus Oberkeitlichen befehl gestelt Jacob Meyerhoffer Altweibel, der [den] G[nädigen] Hrn Baron de Landow (?) Obervogt zu Kayserstuhl einen Eyer-Freßer und mit andern wüsten worten geschmähet, und deßwegen zu Zürich in dem Oetenbach mit täglich 6 streichen an der Stud 3 tag gezüchtiget worden, deme dann das nothwendige vorgehalten worden: Er wolte anfangs nicht unten an den Treppen des Chors stehen, sonder in seinen ohrt in dem Chor gehen mit Vorgeben, da er vor einigen Jahren wegen begangenem S.v. Ehebruch auch da gestanden seye, wurde aber von dem Pfrhr zurückgewiesen, welches er endlich angenohmmen, und die ermahnungen mit aüsserlich bezeigter reüwe angehört, darbey aber allezeit auf eine falsche von Dorffmeyer zu Thengen gemachte anklag abstellen wollen.» [Transkription Adolf Pfister]

[Hinweis vom 22. März 2018: Namenskorrektur nach der 2017 aufgrund von Handschriftenanalyse gewonnenen Erkenntnis, dass es sich beim sogenannten Ortsgeschichtlichen Ordner wohl um die von Zollinger in seiner Monographie Weiach 1271-1971, S. 7, erwähnte «umfängliche Materialsammlung» handelt, die ihm «Herr A. Pfister (1936-1942 Lehrer in Weiach) zur Verfügung stellte», und daher die Umschrift wohl nicht von Zollinger stammt].

Bei diesem «Baron de Landow» handelt es sich um Johann Franz Freiherr von Landsee, denselben Obervogt, der Jahre später den Enchiridion Helveticum Constantiae Episcopalis verfassen sollte (vgl. WeiachBlog-Beitrag: Warum Lesen den Sittenzerfall fördert).

Warum ist Eyer-Fresser ein Schimpfwort?

Man kann sich das so vorstellen: In den Zinszahlungen an die Zehntenherren, Grundeigentümer, und anderen Rechteinhaber tauchen immer wieder Verpflichtungen auf, unter anderem einige Dutzend Eier pro Jahr abzuliefern.

Ein Eyerfresser ist also einer, der von eben diesen Abgaben mehr als genug hat, so dass er quasi davon lebt. Würde heute vielleicht das Schmäh-Wort «Abzocker» verwendet? Mehr dazu in den Weiacher Geschichte(n) Nr. 100 (vgl. Link unten).

Die Transkription der Handschrift Eschers (und damit das obige Zitat) verdanken wir dem Weiacher Lehrer Adolf Pfister:


Das Original findet man nach seinen Angaben im Stillstandsaktenbuch auf Seite 4. Und da ist es auch tatsächlich:


Bei genauer Betrachtung erweist sich hier auch der von Pfister (und Zollinger) als «Landow» gelesene Name des Obervogts als ein «Landsee».

Quelle und weiterführende Beiträge

Sonntag, 10. Januar 2010

Selbstbefriedigung an einem Weidenbaum?

Am 9. Mai 1612 nach gregorianischem Kalender fand vor dem Dorfgericht zu Weiach die Verhandlung in Sachen «Gebhard Boumbgarter» gegen «Anna Glattfelderin, Damast Meyerhoffers fraw, unnd Kleinanna Müllerin, deß Cuonrad Trüllingers fraw» statt.

Boumbgarter (Baumgartner) beklagte sich, am Vortag hätten ihn der Pfarrer und die Ehgaumer (d.h. die dörfliche Sittenaufsicht) mit dem Vorwurf konfrontiert, es werde von diesen Frauen im Dorf herumerzählt, er habe sich nicht nur exhibitionistisch verhalten, sondern auch noch Unzucht mit einem Weidenbaum getrieben.

Ehrverletzungsklage gegen Unzuchtsvorwurf

Das wollte Boumbgarter nicht auf sich sitzen lassen und verlangte, «solliche scheltwort unnd sach uff jhnne zuoerweisen oder ab jhme zethuon, wie recht seige», d.h. die Frauen sollten es entweder beweisen oder sich entschuldigen, denn so etwas wie das ihm Vorgeworfene sei ihm niemals in den Sinn gekommen.

Den beiden Frauen war die Angelegenheit wohl mindestens so peinlich wie dem Kläger. Anna Glattfelderin sagte aus, sie habe gesehen wie Boumbgarter «(reverenter zemelden) sin mannlich glid jnn beiden henden ghabt unnd gegen einen wydstock zuohergangen, sy wüsse nit waß er darmit vermeint hab». [Der Einschub «reverenter zemelden» ist eine Entschuldigung des Protokollierenden an den Lesenden, weil anschliessend gleich tabuisierte Worte folgen.]

Kleinanna Müllerin wollte Ähnliches gesehen haben, nur dass der Ort des Geschehens «jnn der Sandtgass» lag, und Boumgarter mit dem Glied in der Hand «gegen der wand zuoher gloffen» sei.

Wie soll ein Mann Wasser lassen ohne sein Glied zu berühren?

Boumbgarter liess durch seinen Anwalt vorbringen, die beiden Frauen hätten «ußgossen unnd gredt» er habe «(mit gonst zuoschreiben) seinen muotwillen mit einem wydstock würcklich begangen, unnd wann derselbig stock ein kind empfangen hette, wer dann die hebam hette sin müessen».

Er fand solche Vorwürfe widersinnig, denn «es gange mancher redlicher mann, der sin wasser begere abzuoschlagen, ettwan gegen einen baum, zun oder rein, seige darumb nüzit desto böser». Zum Wasserlassen suche ein Mann nun einmal einen Baum, einen Zaun, ein Wiesenbord oder dergleichen auf, das sei nun wirklich nicht ungewöhnlich, geschweige denn ehrenrührig.

Ausführliche Zeugenbefragung

Weil in diesem Fall nun Aussage gegen Aussage stand und die Beklagten nichts davon erwähnten, dass auch von Unzucht mit einem Weidenbaum die Rede war, holte das Gericht Zeugenaussagen ein.

«Verena Müllerin, deß Jaglis Anners fraw zuo Wyach» gab an, sie habe die beiden beklagten Frauen erzählen gehört, Boumgarter habe sein Glied «jnn den stock hinyn» bzw. «jnn den leym hinyn» gestossen. Diese Aussagen wurden auch von anderen Zeuginnen bestätigt.

Nachbarn von Boumbgarter, die schon seit acht Jahren neben ihm wohnten, gaben hingegen zu Protokoll, sie hätten «niemahls nüzit ungebürlichs von jhme gesehen», also auch keine exhibitionistischen Handlungen.

War es Selbstbefriedigung?

Die Zeugin «Anna Roottin, Hannsen Liebergers fraw» gab an, «vor 24 jaren, als sy nach ledigs standts gsin, seige sy zuo dem brunnen gangen, ein wasser gholet, Gebhart Boumbgarter hinder sinem huß gstanden, sin scham fürher glassen, mit der henden umb einandern gschwäit, sich mithin gebeügt unnd gewuostet; sy, zügin, habe domahlen als ein junge dochter nüzit von dergleichen dingen gewüßt». Als Tochter wurde eine junge, unverheiratete Frau bezeichnet, die natürlich von geschlechtlichen Angelegenheiten (wie der hier wohl beschriebenen Selbstbefriedigung) offiziell noch keine Ahnung haben durfte.

Solches sei kein Einzelfall gewesen. Ein anderes Mal hätten sie und eine andere Frau den Boumbgarter wieder bei solchem Tun beobachtet. Da habe «die ander fraw gesagt: "Pfey teüffell, der unflat ist aber jnn sinem handell." Sy, zügin, gefragt, waß er dann darmit vermeine. Daruff sy geantwort, habe allwegen ghört, wann die mannen reppig seigend, so thüegend sy allso».

Anna fragte also, was dieses Verhalten bedeute. Und erhielt zur Antwort, was damals offenbar unter Frauen herumgeboten wurde. Das Adjektiv «reppig» muss so etwas ähnliches wie «geil», «sexuell erregt» oder «im Hormonstau» bedeutet haben.

Da gab es also Grund zur Annahme, dass die herumgebotenen Geschichten nicht ganz ohne jeden Anlass entstanden waren.

Die Männer der verklagten Frauen, die als Beistand ihrer Ehefrau an der Verhandlung teilnahmen, verlangten deshalb von Gebhart Boumgarter, er solle erst einmal diejenigen belangen, die behaupteten, er habe ein solches Verhalten schon vor 24 Jahren an den Tag gelegt. Vorher seien sie nicht bereit, weiter auf seine Klage einzugehen.

Schlechter Ruf führt zu Verurteilung des Klägers

Am 17. Mai 1612 (gregorianischer Datierung) tagte das Dorfgericht erneut und hielt fest, dass «dieweil uß der kundtschafft unnder anderm gehört unnd verstanden wirt, daß der gemelte Gebhart mit grober, unverschambter, schandtlicher unzucht umbgangen, daß derowegen er billichen darumb solle gestrafft werden.»

Die hiesigen Richter waren also der Meinung, Boumbgarter habe sich der behaupteten Taten schuldig gemacht, was wahrscheinlich an seinem nicht gerade guten Ruf lag. Es galt im Dorf offenbar als erwiesen, dass sich der Kläger wiederholt wenig darum geschert hatte, ob man beim «Wasser abschlagen» sein Glied sehen oder ihn sogar bei der Selbstbefriedigung beobachten konnte oder nicht.

Blieb noch zu entscheiden, wer für die Bestrafung zuständig war: die niedergerichtliche Obrigkeit (d.h. der Fürstbischof von Konstanz) oder die «hoche oberkeit», also die Stadt Zürich. Beide Vertreter dieser Obrigkeiten waren der Meinung, dieser Fall stehe ihren Herren zu. Das Dorfgericht entschied zu Gunsten der Stadt Zürich (wohl weil das Vergehen als nicht unerheblich galt).

Die Ratsherrren sehen es ganz anders

Am 16. Mai 1612 nach julianischer Zeitrechnung (d.h. Ende Mai 1612 nach heute gültiger gregorianischer Datierung) sahen die Räte der Stadt Zürich die Angelegenheit allerdings völlig anders. Sie entschieden im Zweifel für den Kläger.

Die beiden beklagten Frauen hätten vor dem Dorfgericht nicht zu Protokoll gegeben, Boumbgarter wirklich gesehen zu haben «syn muotwillen jnn einem wydstock unnd leym verrichten». Deshalb sei das nichts als «ein lychtsinnige red» gewesen, «die sich von eim und anderen gmehret». Sie gingen also von einem Weibergeschwätz aus, das jeder seriösen Grundlage entbehrte und sich selbständig gemacht hatte.

Wahrscheinlich dachten sich die Ratsherren, dass es ja wirklich nicht angehen könne, wenn man als Mann bei jedem Wasserlassen gleich des Exhibitionismus, ja sogar der Unzucht mit Bäumen bezichtigt würde.

Saftige Busse für die geschwätzigen Frauen

Sie stellten die Ehre von Gebhart Boumgarter vollumfänglich wieder her, indem das Geschwätz «von oberckeits wëgen ufgehebt» wurde. Weil die von ihm verklagten Frauen aber zugegeben hätten, solche Sachen gesagt zu haben, und damit den ganzen Aufruhr verursacht hatten, verurteilten die Ratsherren sie zu einer Busse von je 10 Pfund.

Da durch ihr Geschwätz dem Boumbgarter auch Kosten entstanden waren, mussten sie ihm überdies 10 Pfund Entschädigung zahlen, ansonsten hatte jeder Kontrahent seine eigenen Anwaltskosten zu tragen.

Quelle
  • Weibel, Th.: Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt; Aarau, 1996. Prozess wegen Reden über exhibitionistisches Verhalten eines Dorfbewohners - Nr. 190, S. 421-424. [Original: StAZH A 135.3 Nr. 194.]  Volltext online: SSRQ ZH NF II/1.
    Abgedruckt in: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Dezember 1997 – S. 11-13.

Samstag, 9. Januar 2010

Kunstkalender 2010 «Zürcher Unterland»

Fredy Baur, ehemaliger Wirt im «Pflug» zu Rafz, ist ein passionierter Künstler. Für den Kunstkalender 2010 hat er 12 Sujets aus dem Zürcher Unterland mit Bleistift auf Papier gebannt.

Eines der Motive: eine winterlich eingeschneite Reformierte Kirche Weiach (rechts) samt Pfarrscheune (links). Und zwar aus einer etwas ungewöhnlichen Perspektive, der Ost-Ansicht, sozusagen von hinten. Baur sass beim Zeichnen am Rand des neuen Friedhofteils (zum Vergrössern Bild klicken):


Immer wieder erstaunlich ist, wie allein stehend die Kirche auf solchen Zeichnungen wirkt, obwohl sie heute mitten in einem dicht bebauten Dorf steht.

Auf dem Webshop von Baur kann man dieses Sujet auch einzeln erwerben. Eine «Kunstkarte Ref. Kirche, Weiach» kostet CHF 3.80 pro Stück bei einer Mindestbestellmenge von 12 Karten, plus Porto und Verpackung. Ab 20 Karten gibt's 10% Rabatt.

Freitag, 8. Januar 2010

Marco Lobsiger. Ein Schulprofi steht zur Wahl

Die Gemeindewahlen 2010, die in Weiach bereits Ende Januar durchgeführt werden, bringen in unserer kommunalen Politlandschaft bekanntlich eine fast vollständige Wachablösung mit sich (vgl. WeiachBlog vom 21. November 2009).

Sowohl der amtierende Gemeindepräsident, Gregor Trachsel, die Präsidentin der reformierten Kirchenpflege, Karin Klose, wie auch der Präsident der Primarschulpflege, Rainer Hüssy, treten zurück. Es braucht also gleich drei neue «Häuptlinge».

Als Kandidaten für den Posten des Schulpflegepräsidenten konnte an der Wählerversammlung vom 23. November 2009 Herr Marco Lobsiger gewonnen werden. Er wohnt mit seiner Familie an aussichtsreicher Position an der Büechlihaustrasse oberhalb des Büel. Beruflich hat er tagtäglich mit Schulischem zu tun. Als Leiter Abteilung Weiterbildung, Berufsschule Bülach ist Lobsiger ein Vollprofi. Als Stabsoffizier kennt er sich auch in Führungsfragen aus.

WeiachBlog gibt Lobsiger hier - wie schon dem Kandidaten für das Gemeindepräsidium, Herrn Emanuel Galimberti - die Gelegenheit sich vorzustellen. Nicht alle Stimmberechtigen hatten schliesslich die Gelegenheit, an der Wählerversammlung dabei zu sein.

Das Wort hat Marco Lobsiger

«Gerne stelle ich mich sowie meine Beweggründe für die Kandidatur als Schulpräsident kurz vor:
Mein Name ist Marco Lobsiger, ich wohne zusammen mit meiner Frau und unseren drei Kindern (9, 6, 4) seit Mitte 2007 in Weiach. Wir wurden herzlich aufgenommen und haben uns schnell eingelebt in diesem schönen Dorf. Beruflich bin ich an der Berufsschule Bülach tätig, wo ich als Schulleitungsmitglied den Bereich Erwachsenenbildung betreue, mit rund 900 Teilnehmenden in unseren Lehrgängen und Kursen. Selbstverständlich unterrichte ich auch selber Berufslernende und Erwachsene in verschiedenen Fächern, dies mit einem Pensum von ungefähr 50 %.

Bis anhin hatte ich noch nie ein öffentliches Amt und ich gehöre auch keiner politischen Partei an. Nebenbei bin ich noch in der Luftwaffe der Schweizerischen Armee, im Range eines Oberstleutnants aktiv.

In meiner Freizeit widme ich mich selbstverständlich meiner Familie. Ich habe aber auch viele weitere Interessen, von Sport bis zu Basteln, Lesen, und, und, und.
Warum liess ich mich für eine Aufgabe in der Primarschulpflege begeistern? Das ganze Thema Aus- und Weiterbildung liegt mir schon beruflich am Herzen und so sehe ich eine Möglichkeit, dass ich mich fachlich einbringen kann. In meiner Rolle als Schulpflegemitglied glaube ich in der Lage zu sein, die Führungsaufgaben einer Bildungsinstitution zu kennen, die Aufgaben und Sorgen als Lehrperson täglich zu erleben und als Vater natürlich auch die Anliegen der Eltern zu spüren. Es kristallisierte sich dann heraus, dass man mich für das Präsidium anfragen wollte, was ich mir zutraue.

Es würde mich freuen, wenn Sie mir das Vertrauen für diese Aufgabe schenken würden und ich kann mir die Zusammenarbeit im Team der Schulbehörde, der Lehrerschaft und mit weiteren Partnern gut vorstellen.

Marco Lobsiger, Januar 2010.
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Besten Dank für diesen Beitrag. WeiachBlog wünscht Ihnen viel Erfolg bei der Wahl!

Weitere Artikel im Zusammenhang mit den Gemeindewahlen

Donnerstag, 7. Januar 2010

Blick auf die Fasnachtflue - vor 1915

Noch bis morgen 8. Januar 2010 kurz vor Mitternacht (23:23 Uhr) ist auf der Auktionsplattform Ricardo eine Postkarte aus der Zeit des Ersten Weltkriegs zu ersteigern, die sowohl ein Weiacher Motiv wie Weiacher Stempel trägt (zum Vergrössern anklicken):

Adressiert war die Karte an ein «Frl. Rosa Portner» in «Pieterlen bei Biel». Leider ist der Text kaum lesbar. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass es sich beim Absender um einen Soldaten handelt, der in Kaiserstuhl in der Grenzbesetzung lag:


Ob der Verkäufer den gewünschten Mindestpreis von 35 Franken erzielen wird, ist noch fraglich. Bis 3 Tage vor Ablauf der Auktion hat noch niemand ein Gebot abgegeben.

Bewirtschaftungsform vor 100 Jahren: Mittelwald im Bild

Interessant ist im Zusammenhang mit dem Beitrag von gestern die Waldbestockung auf dem Hochplateau des «Stein». Da sieht man die Überständer ganz deutlich. Auf der Hochebene wurde also ein Mittelwald betrieben.

Auch die Rebberge unterhalb der Fasnachtflue sieht man auf der Karte gut. Eine ähnliche Aufnahme ebenfalls aus dieser Zeit wird im Ortsmuseum aufbewahrt. Auch dort sind diese Überständer sehr gut zu erkennen.

Ebenfalls von Interesse ist der Obstbaum-«Wald» in der Mulde, in der das Dorf liegt. Eine unglaubliche Anzahl an Obstbäumen - verglichen mit heute jedenfalls.

Ein Weiacher Verlag

Völlig unbekannt war mir bislang, dass es im Dorf offenbar auch einen Postkartenverleger gab, worauf der Vermerk «Verlag Joh. Nauer, Weiach» auf der Rückseite der Karte hindeutet.

Mittwoch, 6. Januar 2010

Holzgant im Durhäuli vor genau 100 Jahren

Heute vor 100 Jahren führte die Gemeinde Weiach ihre traditionelle Holzgant durch. Diese Gant war offen für alle Interessenten (nicht nur für Gemeindebürger), weshalb der Gemeinderat auch ein Inserat in der «Schweizerischen Bauzeitung» schaltete:

«Holzgant Weiach

Die Gemeinde Weiach bringt Donnerstag den 6. Januar 1910, von vormittags 10 Uhr an, im "Durhäuli" auf öffentliche Gant:

1 grossen Eichenstamm,
3 grosse Forrenstämme, Ueberständer,
50 Stück Bau- und Sägetannen,
150 Stück förrenes Sag-, Bau- und Schwellenholz.

Die bequeme Abfuhr und günstige Zahlungsbedingungen lassen eine zahlreiche Käuferschaft erwarten und ladet hierzu freundlichst ein

Der Gemeinderat
Weiach, den 30. Dezember 1909
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Bewirtschaftungsform Mittelwald

Anhand dieses Angebots kann man auch gleich etwas über die Bewirtschaftungsweise aussagen. Die Bezeichnung «Überständer» deutet auf einen Mittelwald hin, bei dem einzelne Bäume als Bauholz stehen gelassen und der Rest, v.a. Stauden etc., regelmässig herausgeholzt und zu Brennmaterial verarbeitet wurde.

Diese Bewirtschaftungsweise war in unserer Gegend früher sehr häufig. Nicht umsonst nennt man die Gegend westlich von Weiach dem Rhein entlang bis gegen Koblenz das Staudenland (WeiachBlog, 8. Juni 2008).

Inserat online

Im Kontext der Inseratenseite sah das dann so aus (zum Vergrössern anklicken):

Die ganze Zeitschriftenseite findet man unter http://retro.seals.ch/digbib/erez4?rid=sbz-002:1910:55:56::808.

Speicherort ist der Server für digitalisierte Zeitschriften von SEALS (Swiss Electronic Academic Library Service), einer Dienstleistung des Konsortiums der Schweizer Hochschulbibliotheken mit Unterstützung von E-lib.ch (Elektronische Bibliothek Schweiz). Bleibt nur noch die Frage:

Und wo liegt das Durhäuli?

Antwort: Im mittleren Teil des Sagibachtals bzw. Maastälchens. Die Schweizer Kilometerkoordinaten lauten: 266675/674500. Direktlink auf das GIS des Kantons Zürich

Quellen