Sonntag, 8. August 2010

Weide auf der Haferzelg nur mit Auflagen

Artikel 15 der Weiacher Gemeindeordnung vom November 1596 ist eine derjenigen Bestimmungen, welche im «verzeichnuß ettlicher mißbrüchen und unordnungen, so sich zuo Wyach haltend» (vgl. WeiachBlog vom 18. Juli) nicht explizit erwähnt werden.

Unter dem Titel «Haber Zelg» dekretierte die hohe Obrigkeit:

«Wann die Haber Zelg haft ist und inn ußligt [in eß ligt] und etwann einer ein Stuk Acher darinne gelegen uß Unvermögen oder Unkommlichkeit nit ansaien und haberen köndte ald welte, soll derselbig befuegt sin, sollich Stuck mit gfangnem Vech und einem Hirten ze weiden und ze nutzen, also das sontst Niemand anderer Gwalt haben, ime mit sinem Vech daruf ze faren, bis die Stroffel Weid angadt; wann aber das Vech deßen so sinen Acker also weiden will, einem anderen am Saamen Schaden tete, denselben Schaden er abzetragen schuldig sin.» (Fassung Weibel in eckigen Klammern)

Kompromisslösung par excellence

Gemäss dem Glossar von Weibel ist eine «zelg» ein «bestelltes Feld, ein Drittel der Ackerflur im Dreizelgensystem» (vgl. mehr dazu am Schluss des Beitrags). Wenn diese Zelg «haft» ist, dann ist sie «eingehagt». Und wenn etwas in «ess» liegt, dann verstanden die damaligen Weyacher darunter offenbar ein «eingezäuntes vom Weiderecht ausgeschlossenes Saatfeld». Der Begriff «gfangen» im Zusammenhang mit Vieh bedeutet: «am Stricke geführt, nicht frei herumlaufend». Und bei der «Stroffelweid» oder Stoppelweid handelt es sich um die Weide auf dem abgeernteten Acker.

Hier wurde also ein Kompromiss zwischen divergierenden Interessen geschlossen, wobei ein Schaden an fremdem Eigentum innerhalb der Haferzelg nur eine Schadenersatzpflicht auslöste. Eine Busse wurde für eine Übertretung von Vorschriften des Artikels 15 - zumindest gemäss dem Wortlaut des Artikels selber - nicht ausgefällt.

Im Bussengestrüpp gefangen

Dass die Obrigkeiten aber trotzdem auf die Idee kamen, ihre Einnahmen durch diesbezügliche Bussen zu verbessern, zeigt sich an einer Anmerkung, die Weibel in der Anmerkung f zu Nr. 183 seiner Rechtsquellen Neuamt gibt. In den Verhandlungsnotizen, die vor Abfassung der Gemeindeordnung erstellt wurden, steht nämlich der Satz:

«Paulj Baumgartner zeigt an, dz diser articel jnen beschwerlich und nit wol zů halten syn wurde, dan sy den nideren grichtsherren nimmer uß der straff kemmind».

Mit anderen Worten: da scheint es einen Bussen-Wildwuchs sondergleichen gegeben zu haben, der von den Vertretern der hohen wie der niederen Gerichtsbarkeit nach Gutdünken dekretiert wurde.

Offensichtlich befürchtete Baumgartner, die Vorschriften des Artikels seien lebensfremd und schon geringste Übertretungen und der folgende Streit zwischen Nachbarn würden dann Anlass zu obrigkeitlichen Sanktionen geben.

Zum Dreizelgensystem bzw. der Dreifelderwirtschaft

Das Dreizelgensystem galt für alle ackerfähigen Flächen einer Gemeinde. Da die einzelnen Zelgen zwecks Erhaltung von bebaubarem Boden praktisch nie mit Flurstrassen feinerschlossen waren, musste eine für alle Dorfbewohner verbindliche Ordnung erlassen werden, wann und wo welche Arbeiten zulässig waren oder eben nicht. Konnten sich die Betroffenen nicht selber einigen, so war das ein willkommener Anlass für die Obrigkeit, regulatorisch tätig zu werden.

Nachfolgend ein paar Auszüge aus dem Artikel von Albert Schnyder im Historischen Lexikon der Schweiz, wo erklärt wird, dass unter der Haferzelg die jeweils mit Sommergetreide bebaute Fläche gemeint ist:

«Idealerweise war die dörfl. Ackerflur bei der Dreizelgenwirtschaft in drei Zelgen von annähernd gleicher Grösse gegliedert. Im dreijährigen Turnus wurde die Winterzelge im Herbst - nach ein- bis dreifacher Pflügung und z.T. einmaliger Düngung - mit Wintergetreide (Dinkel, in der Nordschweiz oft auch Roggen, in der Westschweiz auch Weizen), die Sommerzelge im Frühjahr mit Sommergetreide (Hafer, in höheren Lagen auch Gerste) bepflanzt (Getreidebau), während die Brache ein Jahr unbebaut bzw. der natürl. Berasung und der Beweidung durch das Vieh der Dorfgenossen überlassen blieb.»

Auch zum Thema der Einhagung und des Stoppelweide-Rechts äussert sich Schnyder:

«Waren die Zelgen angesät, so wurden sie als sog. Eschen mit einem Zaun, dem sog. Efad, eingehegt, um dem weidenden Vieh den Zutritt zu verwehren. Nach der Getreideernte standen auch sie als Stoppelweide dem allg. Weidgang offen. Die Weidenutzung der Zelgen verweist auf den engen funktionalen Zusammenhang zwischen den Zelgflächen und den anderen dörfl. Arealen, insbesondere der Allmend mit dem dazugehörenden Wald. Diese waren integrierende Bestandteile des agrar. Gesamtsystems: Sie boten Weide und Holz und ergänzten die Nahrung von Mensch und Tier.»

Und schliesslich erläutert Schnyder auch noch, warum das Zelgensystem für die Bauern ein verbindliches Korsett war, aus dem sie nicht ausbrechen konnten:

«Durch die Fixierung der grund- und zehntherrl. Feudallasten in Urbaren und Berainen war die Dreizelgenwirtschaft auch rechtl. festgeschrieben. Als komplexes Sozial- und Wirtschaftssystem war sie das Ergebnis jahrhundertelanger Bemühungen um Intensivierung der Landwirtschaft. Ihre in Mitteleuropa weithin ident. Strukturen können sich nur in einem allmähl. Prozess herauskristallisiert haben. Ein genauer Zeitpunkt ihrer Entstehung lässt sich daher nicht angeben. Ihre volle Entfaltung fand sie mit Sicherheit im Laufe des Hoch- und SpätMA.»

Quellen

  • Offnung der Gmeind Weyach von Anno 1596 [14. Wintermonat 1596]. In: Zeitschrift für schweizerisches Recht, Alte Folge Bd. 4 (1855) – II. Rechtsquellen, S. 178. [vgl. RQNA 183: Gemeindeordnung].
  • SSRQ ZH Neuamt (RQNA): Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt; Aarau, 1996. [Bearbeiter: Thomas Weibel] - S. 409, 410, 503, 509, 522
  • Schnyder, A.: Artikel Zelgensysteme. Stand 20.12.2002. In: Historisches Lexikon der Schweiz Internet-Ausgabe.

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