Freitag, 7. Januar 2011

Wann löste sich Wyach von der katholischen Kirche?

Der Kapuzinerpater Siegfried Wind veröffentlichte im Jahre 1940 einen Übersichtsartikel zur Geschichte der Pfarrei Kaiserstuhl, derjenigen kirchlichen Organisation, zu der Weiach seit alters her gehört hat.

Zur im Titel gestellten Frage würde er sagen: «1532 oder später». Ob das so stimmen kann, wird in diesem Artikel analysiert.

Pfarrer in Kaiserstuhl, Kirche in Hohentengen

Der für unser Dorf zuständige Pfarrer hatte seinen Sitz im Städtchen Kaiserstuhl. So war das bereits wenige Jahre nach der Stadtgründung (um 1254), wie man einem Abgabenverzeichnis der Diözese Konstanz zu Gunsten des Papstes (genannt «Liber decimationis cleri Constantiensis pro papa de anno 1275») entnehmen kann.

Die eigentliche Pfarrkirche, die lange vor dem Städtchen begründet wurde, stand aber in Hohentengen am Hochrhein. Der ursprünglich «Thengen bei der hohen Chilchen» genannte Ort war seit der Karolingerzeit Standort der Mutterkirche von über 14 Dörfern beidseits des Rheins. Die 1519 erbaute neue Kirche fasste 400 Personen, obwohl damals in Hohentengen selber gerade einmal 187 Menschen lebten.

Bekanntlich spaltete sich Wyach im Gefolge der von Zwingli ab 1519 in der Stadt Zürich angestossenen Reformationsbewegung von seiner Urpfarrei ab. Wann genau die Weyacher aber diesen Schritt weg vom katholischen Glaubensbekenntnis gemacht haben, ist bislang nicht bekannt.

Er ist sicher Jahrzehnte vor der Gründung der eigenen Pfarrei im Jahre 1591 erfolgt, denn die Regierenden der Stadt Zürich beanspruchten das Recht, die Art der Religionsausübung in ihrem Herrschaftsbereich bestimmen zu können - ganz nach dem Motto «Cuius regio, eius religio». Und Wyach stand bekanntlich seit 1424 unter der hohen Gerichtsbarkeit der Zürcher, die damit Landesherrn waren.

Für Weiach zuständige Pfarrer schon 1520 oder erst ab 1542?

Walter Zollinger gibt sich in seiner «Chronik» (Aus der Vergangenheit des Dorfes Wei¬ach, Weiach 1972 – S. 29) überzeugt, dass die Abspaltung schon früh geschah und Weiach «seine reformierten Prädikanten ab 1520 von Zürich aus zugeteilt» erhalten habe. Erster Pfarrer war gemäss Zollinger Niklaus Ländi.

Dieser war zwar nach dem «Zürcher Pfarrerbuch 1519-1952» von Emanuel Dejung und Willy Wuhrmann erst ab 1542 in Weiach tätig. Seit diesem Jahr sei Weiach «als Filiale von Zürich aus versehen» worden. Dies passt zum Umstand, dass die Weyacher 1540 angekündigt hatten, eher wieder in die katholische Messe nach Kaiserstuhl oder Hohentengen zu gehen als über den Berg nach Stadel, wenn sie keinen eigenen Prädikanten erhielten, der ihnen im Dorf das Gotteswort predige.

Interessanterweise wird im selben Zürcher Pfarrerbuch und auch im «Etat des Zürcher Ministeriums» Niklaus Ländi von 1520 bis 1522 als für Weiach zuständiger Pfarrer geführt: «1520-1522 Pfr. in Weiach», daher hat die Zollinger'sche Vermutung durchaus ihre Berechtigung.

1522 übernahm gemäss dem «Etat» ein Hans Schmid aus dem elässischen Ruffach den Posten des Weiacher Pfarrers.

Und irgendwann im Zeitraum zwischen 1529 und dem Tod Zwinglis im Oktober 1531 soll sogar einer von dessen Freunden, der berühmte reformierte Theologieprofessor Theodor Bibliander auch als Vikar in Weiach tätig gewesen sein (Quelle: Allgemeine Deutsche Biographie Band 2, S. 691).

Nach der Niederlage im Kappeler-Krieg 1531?

Damit wären die Eckdaten abgesteckt. Die Loslösung könnte bereits 1520 erfolgt sein - aus herrschaftspolitischen Gründen. Sie ging aber sicher nicht auf einen Schlag vor sich, weil die Verflechtungen jahrhundertealt und daher nicht so einfach zu lösen waren und die reformatorischen Diskussionen auch in der Stadt Kaiserstuhl und der ganzen dazu gehörigen Pfarrei geführt wurden.

Pater Wind nimmt in seinem Artikel an, dass die Abspaltung nicht vor Ende 1532 stattfand: «Noch größer war, wie schon angedeutet, der Umfang der Pfarrei vor der Reformation. Damals umfaßte sie auch die jetzt auf Zürcher Gebiet gelegenen Ortschaften Weiach, Wasterkingen und Hüntwangen. Im November 1532 gehörten sie noch sicher zur Pfarrei [Fn-18_2]. Ihr Ausscheiden aus dem Pfarrverbande durch Annahme der Reformation wird erst nach diesem Datum stattgefunden haben.» (Z Schweiz. Kirchengesch. 32 (1940) S.18)

Als Beleg führt Wind in Fussnote 2 die von Strickler herausgegebene «Aktensammlung zur Reformationsgeschichte, IV. Bd., Nr. 1955; ferner III. Bd., Nr. 214 ; 266, 6 und 1138.» an.

Wyach im Beleg nicht erwähnt

In diesen von Strickler erstellten Regesten (Zusammenfassung des Inhalts von Urkunden) wird nun allerdings Wyach überhaupt nicht erwähnt. Die Fundstelle IV, 1955 enthält einen auf den 4. November 1532 datierten, unter den Landfriedensakten abgelegten Brief der Zürcher an die Stadt Kaiserstuhl.

Darin bittet die Stadt Zürich darum, zwei namentlich genannte Kirchenpfleger der damals erst unter der niederen Gerichtsbarkeit der Zürcher stehenden Dörfer Hüntwangen und Wasterkingen nicht weiter persönlich auf die Zahlung der gesamten Kirchensteuer für ihr Dorf zu verklagen.

Das sei nicht gerecht, denn die Hüntwanger und Wasterkinger könnten die Kirche ja nicht benützen (um dort einen Gottesdienst nach reformiertem Bekenntnis abzuhalten). Weiach wird in Stricklers Regeste nur indirekt genannt: «Hüntwangen, Wasterkingen, etc.». Das reicht Wind aus, um anzunehmen, es gehe auch um Weiach.

Aber offenbar wurde kein Weiacher wegen Nichtbezahlung der Steuern verklagt, sonst hätte Strickler dies wohl auch ins Regest aufgenommen.

Kaiserstuhl kurzzeitig auch reformiert

Bibliander war für Weiach just zu der Zeit zuständig, in welcher Kaiserstuhl bewegte Tage erlebte und der «neugläubige» Priester Matthias Bollinger in seiner Pfarrei darüber abstimmen liess, ob man zum reformierten Bekenntnis wechseln wolle. Und das mit Erfolg, denn vom März 1531 bis zum katholischen Sieg in Kappel am 11. Oktober 1531 war Kaiserstuhl reformiert und wurde erst nach der Flucht Bollingers wieder katholisch - wann genau ist nicht klar (vgl. Wind, a.a.O., S. 19-20). Gemäss Franziska Wenzinger-Plüss war die reformierte Phase allerdings früher: «1530 bestand vorübergehend eine ref. Mehrheit» (vgl. Artikel Kaiserstuhl im Historischen Lexikon der Schweiz).

Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass Zürich ab Herbst 1531 zwecks Eindämmung der Rekatholisierung noch vermehrt darauf geachtet haben dürfte, dass die reformierten Weyacher seelsorgerlich betreut wurden - auch wenn dies in den Akten offenbar keinen Niederschlag gefunden hat und insbesondere keine Pfarrer genannt sind.

Man kann also nach wie vor keine genaueren Angaben machen. Zwischen 1520 und 1540 scheint aufgrund der mir vorliegenden Quellen alles möglich.

Auch die Zeit vor 1532 - denn aus der Tatsache, dass die Weiacher noch die Kirchenabgaben bezahlten lässt sich nicht ableiten, dass sie sich noch mehrheitlich zur alten Pfarrei zugehörig fühlten. Schliesslich wurde der Kirchenzehnten auch noch Jahrhunderte später entrichtet, als Reformiertsein in Weyach längst zur Bürgerpflicht geworden war.

Quellen

  • Strickler, Johannes (Hrsg.): Actensammlung zur schweizerischen Reformationsgeschichte in den Jahren 1521-1532 im Anschluss an die gleichzeitigen eidgenössischen Abschiede. Zürich, 1878-1884. Nachdruck Theologische Buchhandlung, Zürich 1989. Umfang: 5 Bd. (1 : 1521-1528 -- 2 : 1529 und 1530 -- 3 : 1531, Jan. bis 11. Oct. -- 4 : 1531, Oct. 11 - 1532, Dec. -- 5 : Nachträge 1522-1533, Register, Literatur-Verzeichnis zur schweiz. Reformationsgeschichte enthaltend die zeitgenössische Literatur 1521-1532)
  • Wind, Siegfried: Zur Geschichte der katholischen Pfarrei Kaiserstuhl im Aargau. In: Zeitschrift für schweizerische Kirchengeschichte, Vol.34 (1940), 14-26. (Weiach: S. 18) http://dx.doi.org/10.5169/seals-125540 [Zur Glaubensgemeinschaft des Autors P. Siegfried Wind O. M. Cap., vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/OFMCap]

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