Montag, 22. September 2014

Hans Ulrich Meyerhofer nach Schaffhausen ausgeliefert

Heute vor 200 Jahren war der Kanton Zürich noch ein völlig unabhängiger Staat, wie alle anderen Schweizer Kantone, die in der Eidgenossenschaft der Mediationszeit nur lose miteinander verbunden waren.

Wollte damals ein anderer Kanton einen Zürcher Bürger vor Gericht stellen, dann musste er bei der Zürcher Regierung vorstellig werden. Und ein formelles Auslieferungsgesuch von Staat zu Staat stellen. So wie dies der Kanton Schaffhausen am 19. September 1814 getan hatte:

«Da die Regierung des L. Standes Schaffhausen unterm 19ten dieß um die Auslieferung des zu Regensperg im Arrest sitzenden Hs. Ulrich Meyerhofer von Weyach, welcher als ein angeblicher Unterhallauer, Namens Rahm, den Herrn Stadtrichter und Cantonsrath Joh. Jacob Wüscher in Schaffhausen vermittelst eines falschen Schuld- und Bürgscheins um die Summe von 800. fl. betrogen, – ersucht, – so wird die Cantonspolicey-Commißion, auf den mündlich erstatteten, sorgfältigen Bericht ihres würdigen Präsidii, begwältiget, die Auslieferung des Meyerhofers an die Regierung von Schaffhausen zu besorgen, und der dortigen Polizeybehörde anzuzeigen, wann er zu Regensperg abgeholt werden könne.»

Anmerkung zu den Abkürzungen: «L.» steht für «Löblichen», «Hs.» für «Hans», «Joh.» für «Johann», «fl.» für «Gulden».

Bereits rekordverdächtige drei Tage nach dem Begehren (!) entschied also der Kleine Rat (heute wäre das der Regierungsrat), ihm stattzugeben. Von wegen, staatliche Mühlen würden langsam mahlen...

Wie man dem Beschlussprotokoll entnehmen kann, war zu diesem Geschäft ein Bericht des Präsidenten der «Cantonspolicey-Commißion» nötig, der seinen Antrag den hohen Herren Räten gleich in deren Sitzung vortrug. Dieses mündliche Prozedere dürfte wesentlich zur schnellen Erledigung des Geschäftes beigetragen haben.

Unklar ist, weswegen Hans Ulrich Meyerhofer zu Regensberg in Arrest war. Womöglich sass er da wegen einer anderen - möglicherweise weniger gravierenden - Angelegenheit. Die Zürcher sahen jedenfalls kein Problem darin, ihn (umgehend) den Schaffhausern zu überstellen. Dort war er ja auch hinter Schloss und Riegel - und erst noch auf Kosten der Schaffhauser.

Dennoch interessierte sich die Zürcher Justiz für den gefälschten Schuldbrief bzw. Bürgschein:

«Von dieser getroffenen entsprechenden Verfügung, wird die Regierung des L. Standes Schaffhausen rückantwortlich benachrichtiget, und dieselbe zugleich um Mittheilung des dießfälligen Urtheils und der Prozeß-Acten ersucht, aus welchen sich dann besonders auch ergeben wird, ob und wie die Verfertigung des falschen Schuldbriefs und Bürgscheines in dem hießigen Canton geschehen sey.»

Die eigentlichen Umstände, unter denen es Meyerhofer gelungen war, den honorablen Johann Jacob Wüscher von der Echtheit der Urkunde(n) zu überzeugen, hatte die Zürcher offiziell nicht zu interessieren.

Bemerkenswert ist aus heutiger Sicht, dass ein Weiacher offenbar dialektmässig problemlos als Unterhallauer durchging. Oder Meyerhofer zumindest glaubhaft machen konnte, er stamme ursprünglich aus dieser Klettgauer Gemeinde.

Näheres würden allfällig noch vorhandene Prozessakten in Schaffhauser Archiven zeigen.

Quelle
  • StAZH MM 1.50 RRB 1814/0921. Auslieferung des Hs. Ulrich Meyerhofer von Weyach, aus seinem Arrest zu Regensperg an die Regierung von Schaffhausen. 22.09.1814
[Veröffentlicht am 29. Dezember 2014]


Präzisierung vom 13. Januar 2015 zum Thema Auslieferungsgesuch

Eine Auslieferung kann nicht nur erfolgen wenn der oder die Betreffende bereits inhaftiert ist. Vergleiche die Begriffsdefinition durch das Bundesamt für Justiz:

«Auslieferung bedeutet die zwangsweise Übergabe einer gesuchten Person durch den ersuchten Staat an den ersuchenden Staat zum Zweck der Strafverfolgung oder der Strafvollstreckung.»

Ohne Gesuch eines Drittstaates handelt es sich nicht um eine Auslieferung, sondern um eine Abschiebung oder Ausschaffung in einen Drittstaat (in der Regel der Heimatstaat des/der Abgeschobenen).

Ein Gesuch war also unabhängig davon erforderlich, ob es sich um einen Bürger des angefragten Kantons oder einen Kantonsfremden handelt. Interessant ist aber dennoch, wie schnell die Zürcher bereit waren, einen eigenen Bürger in einen anderen Kanton auszuliefern. Denn staatsrechtlich gesehen war Schaffhausen aus Zürcher Sicht Ausland.

Normalerweise liefert ein Staat eigene Bürger nicht (oder nicht ohne weiteres) ans Ausland aus. In der EU ist das anders geregelt (vgl. Wikipedia-Artikel Europäischer Haftbefehl:

«Der Europäische Haftbefehl (EuHB) ist ein Instrument zur EU-weiten Durchsetzung eines nationalen Haftbefehls, das auf einem Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 beruht. Er vereinfacht und verkürzt die Auslieferung von Straftätern bzw. Verdächtigen, da das um Auslieferung ersuchte Land die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls grundsätzlich nicht nachprüfen darf.»

Es besteht zwischen EU-Staaten also eine Verpflichtung zur automatischen Auslieferung - auch von eigenen Staatsbürgern.

Keine Kommentare: