Samstag, 16. Dezember 2017

Auffällig! 400 Jahre Weiacher Konkursverordnung

Die Gemeinde Weiach lag über Jahrhunderte sozusagen zwischen zwei konkurrierenden Staaten, dem Stadtstaat Zürich und dem Fürstbistum Konstanz. Aufgrund dieser vertikal geteilten Souveränität (niedere und hohe Gerichtsbarkeit) gab es immer wieder Streitigkeiten. So auch über die Frage, wer Betreibungs- und Konkursangelegenheiten zu regeln habe und auf welche Weise (nach welchen Rechtsgrundsätzen und durch welche Amtsträger). Denn das war im «Vertrag umb die grichtsherrligkeit zuo Wyach» von 1576 und dem Zusatz von 1604 nicht geregelt.

Nachdem sich deshalb «von wegen der verfertigung der uffälen» (uffälen = Konkurse) «die jar hero spänn und mißverstendtnußen erhept» (spän = Streitigkeiten) kamen die Amtsträger der niederen und der hohen Gerichtsbarkeit, also der fürstbischöflich-konstanzische Obervogt zu Kaiserstuhl und die zürcherischen Obervögte des Neuamts (jeweils in Doppelbesetzung) zu Verhandlungen zusammen und schlossen einen Vergleich, der am heutigen Datum vor genau 400 Jahren, dem 16. Dezember 1617 besiegelt wurde.

Diese Auffallordnung von 1617 ist als Nr. 192 des Bandes Neuamt aus dem Jahre 1996 letztmals im Druck erschienen (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen in der I. Abteilung über den Kanton Zürich).

Betreibungsverfahren vs. Konkursverfahren

Wie man der Urkunde entnehmen kann, beharrten die Zürcher auf ihrer Ansicht, dass sie als hochgerichtliche Obrigkeit grundsätzlich für Konkurse zuständig seien, da dies auch in Malefitz-Sachen (Recht zur Aburteilung von Kriminalverbrechen) zutreffe. Damit konnten sie sich durchsetzen, wohl auch weil sie der niedergerichtlichen Seite, also dem Fürstbistum Konstanz, Zugeständnisse machten.

Nach der Präambel wird nämlich eine Art Vorverfahren zum Konkurs geregelt. Wenn eine in Weiach ansässige Person auffällig wurde, ihre Schulden also nicht bezahlen wollte oder konnte, dann wurde erst einmal der fürstbischöflich-konstanzische Obervogt tätig, der zusammen mit seinem Amtsschreiber und im Beisein von zürcherischen Amtsträgern eruieren musste, «ob einer mit synem hab und guot synen ansprecheren mit der bezalung khönne begegnen». Wenn der Kaiserstuhler Obervogt feststellte, dass die Person nicht überschuldet ist, sie also sämtliche Forderungen begleichen kann, ohne dass ein Gläubiger dabei finanziell zu Schaden kommt, dann - und nur dann - hatte er die Kompetenz die Angelegenheit rechtsgültig zum Abschluss zu bringen. [Hinweis: Darüber, nach welchen Regeln - fürstbischöflichen oder zürcherischen - dieses Verfahren abzulaufen hatte, wird nichts gesagt. Es kann aber sein, dass implizit klar war, dass die nachstehenden Regeln mutatis mutandis ebenfalls Gültigkeit hatten].

Anders sah das aus, wenn «hab und guot zuo bezalung syner schulden nit gelangen möchte», sobald also mutmasslich nicht alle Gläubiger befriedigt werden konnten. In diesem Fall musste der Kaiserstuhler Obervogt den Fall dem gerade amtierenden zürcherischen Obervogt im Neuamt übergeben, der dann zusammen mit seinem Landschreiber ein ordentliches Kollokationsverfahren (wie man das heute wohl nennen würde) einleiten musste. Das beinhaltete den Schuldenruf von der Kanzel («die schuldvorderer durch die kilchenrueff zesammen berueffen») und die Einleitung der Bevogtigung von Hab und Gut des Schuldners (ähnlich wie heute das Konkursamt die Kontrolle übernimmt).

Der Entscheid den Konkurs zu eröffnen, musste im Beisein des Kaiserstuhler Obervogts sowie des Weibels (unklar ob derjenige der hohen oder der niederen Obrigkeit gemeint ist) sowie zweier Richter von Weiach erfolgen. Als Schauplatz einer Konkurseröffnung bot sich daher das Dorfgericht Weiach an, denn da waren die Genannten von Amtes wegen regelmässig zugegen.

Weiachspezifische Verfahrensregelung

Auch der Ablauf des Konkursverfahrens - insbesondere die Rangfolge der Gläubiger - bestimmte sich in Weiach weder nach dem Recht der Grafschaft Kyburg (bzw. des Neuamts) noch nach dem Recht des Amtes Kaiserstuhl (wo auch Weiach seit 1295 mit den niederen Gerichten zugehörig war), sondern nach der Auffallordnung, einem Mix aus für diesen Fall festgelegten Regeln:

Der Neuamts-Obervogt konnte das in Konkurs gefallene Gut «wo von nöthen verkhauffen laßen», verwaltete den Erlös und musste über den Verbleib Rechenschaft ablegen (Art. 1).

Interessant ist nun der Vergleich mit unserem heutigen Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, insbesondere die Festlegung der Rangfolge der Forderungen wie in den nachstehenden Absätzen beschrieben. Damals wie heute hatten die Grundpfandgläubiger eine herausragende Stellung.

Zuerst kommen Verfahrenskosten und Grundpfandschulden

Aus dem Erlös wurden erst einmal die Kosten des Konkursverfahrens gedeckt (Art. 2). Danach folgten «alle grund- und bodenzinß, jtem brief und sigel mit genambseten underpfanden, und je der elter brief dem jüngern vorgahn». In der Regel konnten jedoch lediglich drei fällige Jahreszinsen geltend gemacht werden, es sei denn, dass einem Gläubiger (wohl durch den Schuldner) schriftlich mehr Rechte zugesichert worden waren (Art. 3).

Das Verfahren war also ähnlich wie heute, wo Grundpfandverschreibungen nach ihrem im Grundbuch eingetragenen Rang befriedigt werden. Denn nun folgten bereits Schuldverschreibungen aller Art (also auch Grundpfandschulden), «dieselben soll man uß dem, das ab jren pfanden erlößt, bezalen» (Art. 4), also dem Verkaufserlös z.B. eines Stück Ackerlandes, auf dem die Verschreibung lastete.

Eigengut der Ehefrau folgt Kaiserstuhler Recht

Im nächsten Rang folgten «eigen und erb», also Eigengut und noch nicht ausbezahlte Erbansprüche (Art. 5). Im Gegensatz zur Regelung in der Grafschaft Kyburg aber, wo Ehefrauen unter diesem Artikel ihr eingebrachtes Eigengut hätten beanspruchen können (dafür aber in Erbsachen hinantstehen mussten), galt in Weiach das Amtsrecht von Kaiserstuhl, nach dem die Ehefrau ihren Gatten beerbte, dafür aber im Konkursverfahren auch mithaftete (Art. 6, nachfolgend im Wortlaut):

«Wiewol nun nach der grafschafft Kyburg [...] rëchten die wyber mit jrem zuogebrachten guot daruf volgen theten, und aber zuo Wyach und jm ambt Keißerstuol nach altem bruch und herkhommen die eementschen einanderen eerbend und für einanderen bezalen müßend, so soll es deßhalber hierby belyben, unnd die eewyber mit jren ansprachen nebent sich zestahn schuldig syn.»

Hier wurde den Weiachern das hergebrachte Recht belassen, wohl auch deshalb, weil der Fürstbischof aufgrund seines bereits seit 1295 bestehenden Niedergerichtsrechts auf den älteren Rechtsanspruch pochen konnte.

Ein besonderer Absatz (Art. 7) ist den Vogtkindern, d.h. den Mündeln gewidmet. Es handelt sich dabei wohl um Kinder, denen der Konkursit Vormund war. Nur so ist der Satz zu verstehen, wonach Mündel «umb das, so der vogt jnen uß dem jrigen verthaan» entschädigt werden müssten.

Der Staat bekommt seine Steuern

Erst im Artikel 8 - aber noch vor vielen anderen Gläubigern - kommen die «hohen und nideren grichtsherren» mit ihren Steuer- und Bussenforderungen zum Zug: «Darnach die herren von Zürich wie auch der nider grichtsherr umb das, so jnen by vogtstüren, abzügen, umbgelt, buoßen und anderen derglychen gfellen ußstehndig.»

Mitarbeitende mündige Kinder sind erst jetzt dran

Direkt nach den staatlichen Forderungen sind Lidlöhne fällig (Art. 9: «unverjarter lidlohn»). Vgl. zum Begriff den Art. 334 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) von 1912: «Mündige Kinder oder Grosskinder, die ihren Eltern oder Grosseltern in gemeinsamem Haushalt ihre Arbeit oder ihre Einkünfte zugewendet haben, können hiefür eine angemessene Entschädigung verlangen». Schuldner nach dem Zivilgesetzbuch war das Familienoberhaupt und der Anspruch konnte erst bei dessen Tod oder im Falle des Konkurses geltend gemacht werden. Damit wurden kapitalschwache Landwirtschaftsbetriebe privilegiert, ähnlich der Regelungen im heutigen Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht (BGBB).

Ab dem bluomen bezahlt

Ebenfalls unter dem Lidlohn werden die übrigen Mitarbeitenden auf dem Landwirtschaftsbetrieb aufgeführt, desgleichen Handwerker (explizit genannt: «schmid, wagner und ysenman»), die für den Betrieb Arbeiten erledigt hatten. Sie wurden «ab dem bluomen, daruf sy gearbeitet» entschädigt. Der bluomen war der Bodenertrag. In diesem Fall beschränkt auf den Jahresnutzen («und was desselben jars rechtmeßiger wyß uferloffen»). Für den Fall, dass jemand weder Äcker noch nennenswerten Ertrag hatte, wurde bestimmt, dass es sich bei der Forderung dann um eine Schuld und nicht um einen Lidlohn handle.

Eine ähnliche Regelung wurde in Artikel 10 getroffen für geliehenes und ausgebrachtes Saatgut sowie zur Verfügung gestellten Rindermist. Der Verleiher solle «uß dem bluomen jm veld desselben jars gewachßen bezalt werden».

Die einzige Ausnahme von dieser Bluomen-Regel wird übrigens im Art. 15 genannt, wo es darum geht, das «hoüw, strauw und buw jnn einem uffal bim hof verblyben sölle». Wenn also ein Landwirtschaftsbetrieb in der Konkursmasse war, dann gehörten Heu und Stroh, die auf dem Land des Betriebs gewachsen und zum Zeitpunkt des Konkurses noch vorhanden war (also auch solches vom Vorjahr), desgleichen der Mist auf dem Stock, demjenigen, der den Hof aus der Konkursmasse erhielt, «also das er annderen gelten darfür ützit zegëben ald abtrag zethuond nit schuldig syn.». Der Erwerber musste dafür also niemanden entschädigen.

Geliehenes Geld und Zehrgeld

Im 10. Rang folgten zinslose Gelddarlehen, sowie Früchte (wie Korn o.ä.), die «fürgestreckt»  worden waren und die man ursprünglich im Verhältnis 1:1 wieder zurückgeben wollte. Im gleichen Rang waren verzinsliche Darlehen, sowie Früchte und Esswaren, «die uff gwün fürgesetzt», also zum Zwecke der Gewinnerzielung überlassen worden waren. Schliesslich auch laufende Schulden, die mit «brief und sigel» belegt werden konnten (Art. 11). In Artikel 13 wird dann noch das Zehrgeld erwähnt. Alle diejenigen, denen der Konkursit noch solches schuldig war, sollten nicht mehr «dann zëchen schilling nach luth der herren von Zürich mandaten» erhalten. Ausgenommen von der Begrenzung waren Zehrgelder, die in Rechtsstreitigkeiten und Erbteilungen aufgelaufen waren.

Nachlassdividende mit Pferdefuss?

Alle übrigen Forderungen wurden in den letzten Rang verwiesen: «Unnd so dann noch etwas überig und verhanden were, söllen alle die, denen man noch gelten soll, zuosammen stahn und das under einannderen nach anzal eines jeden schuld und ansprach abtheilen, so vehr das gelangen mag.». Wenn also noch etwas übrig war, dann sollte eine Gläubigerversammlung einberufen werden.

In diesem Punkt kommen nun allerdings wieder die alten Rechte zum Vorschein, heisst es doch gleich anschliessend und einschränkend: «Jedoch mit diser erlütherung unnd underscheidt, diewyl das dorf Wyach von alterhar jnn das ambt Keißerstuol, wie vorgemeldet, diennet, so sölle es mit dem vor- und nachgahn der bezalung halber jnn einem uffal, was die gmeinen lauffenden schulden anthrifft, also gebrucht und disere ordnung gehalten werden, namblich, das jnn der bezalung allwegen jnn jeder linien luth der ordnung den vorgang haben, 
[1.] erstlich die ynseßen deß dorfs Wyach,
[2.] demnach fürs ander söllint die ynseßen der vogty deß Nüwen Ambts, deßglych die burger zuo Keißerstuol unnd die jnwohner der übrigen vier jnns ambt Keißerstuol auch gehörender dörferen Tengen, Herderen, Lienheim und Nidervißibach, alle gmeinlich zuoglych zesammen jnn ein linien nebent einannderen, je nach dem einer recht hat, gestelt werden;
[3.] denen nach die burger zuo Zürich,
[4.] darufhin derselben underthonnen,
[5.] und dann fürs letst die frömbden.»

Es gab also innerhalb dieses letzten Ranges nicht weniger als fünf Klassen (Weiacher, Neuamts- und Kaiserstuhler Amtsangehörige, Zürcher Bürger, Zürcher Untertanen aus anderen Vogteien und Ausländer, also auch solche aus anderen Gebieten des Fürstbischofs)! Je näher jemand an Weiach dran war, desto eher hatte er noch etwas zu erwarten. Denn wenn bereits mit den Forderungen der Weiacher die vorhandenen Mittel aufgebraucht waren, dann gingen Auswärtigere wohl leer aus. Oder wurde hier - wie heute üblich - eine Nachlassdividende, also ein Forderungsteilverzicht vereinbart?

Welches Konkursamt ist zuständig?

Abschliessend wird unter dem Titel «Wer die brief, so jnn einem uffal zemachen, schryben sölle» festgelegt, dass das notarielle Instrument bei Handänderungen von Grundstücken, der «khauffsvertigungbrief», durch den «ambtsschryber wie von alterher» erstellt werden solle. Dabei muss es sich um den Kaiserstuhler Amtschreiber gehandelt haben, «da die khoüff vor gricht zuo Wyach wie brüchig gefertiget werdent» - und bei diesem Gericht hatten fürstbischöfliche Amtsträger das Sagen.

Auch hier behielten sich Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich eine Extrawurst vor. Im Konkurs erfolgende Eigentumsübergänge für Erblehenhöfe und -Grundstücke durften nicht durch die fürstbischöflichen Amtsträger gefertigt werden, wenn diese «von gmeiner statt Zürich clösteren und embteren oder dem spital daselbst lehen» seien. Solche Geschäften mussten in Zürich «vor den rechenherren oder pflägeren deß spitals jnn der statt Zürich wie bißher brüchig gefertiget und verbriefet werden». Und weil in Weiach seit der Reformation eine ganze Reihe von Höfen und Grundstücken dem Almosenamt und weiteren staatlichen Institutionen gehörten, war diese Einschränkung keineswegs eine bloss theoretische, sondern von grosser praktischer Bedeutung.

Dazu kam dann noch eine weitere Einschränkung: Auch Lehen, die nichts mit dem Zürcher Staat zu tun hatten waren von einer Sonderregelung betroffen! Da durfte zwar das «gricht zuo Wyach wie von alter und bißher fertigen unnd daselbst die khauff- und vertigungsbrief ufrichten laßen», musste aber sicherstellen, dass den jeweiligen Lehenherren ein Vorkaufsrecht eingeräumt wurde und - wo sie dieses nicht ausüben wollten, sich deren Einwilligung zur Handänderung geben lassen. Ohne diese seien solche Fertigungen ungültig, heisst es in der Urkunde.

Zuletzt steht da noch die Bestimmung, welche im Bezug auf die Errichtung von Schuldbriefen im Zusammenhang mit Konkurserledigungen in Weiach die heutige Notariatssituation vorwegnimmt. Für Grundstücke in Weiach muss man ja heute das Notariat in Niederglatt aufsuchen - und dieses war früher die Landschreiberei des Neuamts: «Was dann an schuldbriefen von khoüffen her jnn einem uffal zemachen weren, die söllent einem landtschryber der vogty deß Nüwen Ambts zeschryben zuo stahn und gehören». So schiebt man seinen Amtsträgern Einkommensquellen zu.

In der Fertigungsformel zum Schluss der Urkunde über die Weiacher Auffallordnung bezeugen die Siegler, der Fürstbischof und der Zürcher Rat, dass «wir darjnnen nützit unzimblichs noch dem gmeinen rechten und alten brüchen und herkhommen dero von Wyach ungemeß syn befinden khönnen».

[Veröffentlicht am 3. März 2019 um 02:02 MEZ]

Freitag, 15. Dezember 2017

Landwirtschaftliche Genossenschaft Weiach, 1901-2012

Um das Jahr 1912 herum seien nicht nur die Elektrizitätsgenossenschaft Weiach gegründet worden, sondern auch die Landwirtschaftliche Genossenschaft (LGW) und die Milchgenossenschaft Weiach (MG Weiach). So beschreibt Walter Zollinger auf S. 69 in seinem 1972 erschienenen blauen Büchlein «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach» die Entstehungszeit der Genossenschaften, welche Weiach im 20. Jahrhundert geprägt haben. So ganz falsch liegt der Dorfchronist zwar nicht. Aber doch um ein Jahrzehnt daneben.

Recherchiert man nämlich etwas im Internet, dann findet man die private Website von Jürg Zimmermann, der eine historische Aufarbeitung zur Landwirtschaftlichen Konsumgenossenschaft Hinwil und Umgebung vorgenommen hat. Eines der Nebenprodukte: das Verzeichnis Landwirtschaftlicher Genossenschaften Kt. Zürich auf dem Stand Juli 2016.

Gegründet im März 1901

Als Nr. 36 findet man da die Landi Weiach-Siglistorf mit Sitz in Weiach, Handelsregisternummer CHE-105.752.220. Ins Register eingetragen wurde diese Genossenschaft bereits am 22. April 1901 - und aus dem Register gelöscht am 2. August 2012. Zimmermann beruft sich auf Handelsregister-Angaben. Und im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) wird man unter diesen Daten tatsächlich fündig!



«22. April. Unter der Firma Landw. Genossenschaft Weiach und mit Sitz in Weiach, hat sich am 10. März 1901 eine Genossenschaft gebildet, welche bezweckt, das materielle Wohl ihrer Mitglieder zu heben und zu fördern durch möglichst billige Beschaffung notwendiger Lebensbedürfnisse, An- und Verkauf landwirtschaftlicher Hülfsmittel, vorteilhafte Verwertung der eigenen Produkte und durch Belehrung und Aufmunterung mittelst Veranstaltung von Vorträgen und Kursen. Die Mitgliedschaft wird erworben durch schriftliche Anmeldung, Aufnahmebeschluss der Genossenschaftsversammlung und Unterzeichnung der Statuten. Bis zum Abschluss der 1. Jahresrechnung ist der Eintritt frei; später kann die Generalversammlung nach Massgabe des Genossenschaftsvermögens ein Eintrittsgeld festsetzen. Einer der Erben eines verstorbenen Mitgliedes hat freien Eintritt innert Jahresfrist vom Todestage des letztern an. Der Austritt kann auf das Ende eines Geschäftsjahres nach vorheriger schriftlicher vierteljährlicher Kündigung stattfinden; die Mitgliedschaft erlischt ferner infolge Todes oder Ausschlusses durch den Vorstand bezw. die Generalversammlung. Jedes Mitglied ist verpflichtet, seinen Bedarf an den vorhandenen Waren von der Genossenschaft zu beziehen. Die Generalversammlung beschliesst über allfällig von den Mitgliedern zu leistende Jahresbeiträge und setzt deren Höhe fest. Für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft haften deren Mitglieder persönlich und solidarisch, sofern das Genossenschaftsvermögen nicht hinreicht. Von dem aus dem Geschäftsbetriebe sich ergebenden Gewinn sollen 40% zur Bildung eines Reservefonds verwendet und 60% den Mitgliedern, sofern deren Warenbezug mindestens Fr. 30 per Jahr beträgt, zugeteilt werden. Organe der Genossenschaft sind: die Generalversammlung, der Vorstand von fünf Mitgliedern und die Rechnungsrevisoren. Namens der Genossenschaft führen der Präsident oder der Vicepräsident je mit dem Aktuar zu zweien kollektiv und der Verwalter einzeln die rechtsverbindliche Unterschrift. Mitglieder des Vorstandes sind: Heinrich Meier, zur Station, von Freienstein, Präsident; Albert Meierhofer, alt Weibels, Vicepräsident; Rudolf Meierhofer. Wagner, Aktuar; Heinrich Bersinger, Wegknecht, Verwalter, und Johannes Schenkel, Wirt, Beisitzer; letztere vier von und alle in Weiach. Geschäftslokal: Im Oberdorf Nr. 38.»

Beim Geschäftslokal Im Oberdorf Nr. 38 (nach dem damals gültigen Gebäudeassekuranz-Nummernplan von 1895) handelt es sich um das Haus Alte Post-Strasse 4, das heute im Besitz von Hans und Hanni Rutschmann ist. (Quelle: Gebäudenummernkonkordanz der Gemeinde Weiach, 2002)

Die darauffolgenden Jahrzehnte haben punkto Namen und Tätigkeitsgebiet nicht viel geändert (vgl. auch WeiachBlog Nr. 1320). Gegen Ende des 20. Jahrhunderts folgen dann aber tiefgreifende Änderungen.

Fusion mit der Landwirtschaftlichen Konsumgenossenschaft Siglistorf, 1990

Im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) findet man heraus (Moneyhouse.ch, unterster Eintrag: SHAB 1990183/1990 - 20.09.1990), dass mit Statutenänderung am Tag des Falls der Berliner Mauer (9.11.1989) und am 15.2.1990 sich die Landwirtschaftliche Genossenschaft Weiach in Landi Weiach-Siglistorf umbenannt habe.

Das Wirtschaftsgebiet Landi Weiach-Siglistorf umfasste gemäss dieser Handelsamtsblatt-Mitteilung die Ortschaften «Weiach, Fisibach, Kaiserstuhl, Zweidlen, Rümikon, Mellikon, Siglistorf und Umgebung.». Aus der bislang auf die Gemeinde konzentrierten Landi Weiach wurde eine kantonsübergreifende Organisation - die aber ihren Sitz nach wie vor in Weiach hatte: «Die Generalversammlung vom 15.2.1990 hat die Fusion mit der Landwirtschaftlichen Konsumgenossenschaft Siglistorf, in Siglistorf, beschlossen. Aktiven und Passiven der Landwirtschaftlichen Konsumgenossenschaft Siglistorf gemäss Fusionsbilanz per 31.12.1989 gehen im Sinne von Art.914 OR an die Landi Weiach-Siglistorf über.».

Der Zweck der Genossenschaft unterschied sich aber nicht markant von dem Jahrzehnte früher festgelegten: «Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Mitglieder, insbesondere durch eine preisgünstige, fristgerechte und kontinuierliche Vermittlung eines bedarfsgerechten Sortimentes qualitativ hochwertiger Artikel des land- und hauswirtschaftlichen Bedarfs, eine zielgerichtete Beschaffung und Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Durchführung von Kursen, Vorträgen, kulturellen und geselligen Anlässen, die Mitgliedschaft beim Verband ostschweizerischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (VOLG), Winterthur.» Hier sieht man die enge Verbindung zwischen Volg und Landi, die auf kommunaler Ebene sichtbar wird. Kein Wunder wurden die beiden Unternehmen dauernd miteinander verwechselt. Heute ist das dank unterschiedlichem Marktauftritt wohl anders.

Auflösung der Landi Weiach-Siglistorf, 2012

Letztlich erwies sich das Wirtschaftsgebiet wohl doch als zu klein. Und so verschwand - wie im Schweizerischen Handelsamtsblatt am 7. August 2012 vermeldet - die Landi Weiach aus den Registern: «LANDI Weiach-Siglistorf, Genossenschaft, in Weiach, CH-020.5.900.861-9, Genossenschaft (SHAB Nr. 81 vom 28.04.2010, S. 27, Publ. 5606516). Aktiven und Passiven (Fremdkapital) gehen infolge Fusion auf die LANDI SURB, Genossenschaft (CH-020.5.900.936-2), in Schleinikon, über. Die Genossenschaft wird gelöscht.»

Die Landi SURB (ehemals Landwirtschaftliche Konsumgenossenschaft Wehntal-Steinmaur) hat ein ausgedehntes Wirtschaftsgebiet, das sich wirklich durch das ganze Surbtal bis ennet der Aare erstreckt. Vom Wehntal bis nach Böttstein und Würenlingen, denn neben der Landi-Siglistorf hat die Landi Surb auch noch die Landwirtschaftliche Konsumgenossenschaft Würenlingen und die Volg Konsumgenossenschaft Böttstein übernommen.

Heute erinnert in den SHAB-Mitteilungen zur Landi Surb an Weiacher Zeiten nur noch ein in Weiach wohnhafter leitender Angestellter: «Wiesendanger, Daniel, von Niederweningen, in Weiach, Mitglied der Verwaltung». (SHAB, 24.01.2017)

Donnerstag, 30. November 2017

Gründungsjahr der Pfarrei Weiach, revisited

Wie definiert man das Gründungsjahr einer Pfarrei? Ist doch einfach, werden Sie vielleicht sagen. Sobald ein Pfarrer fix einer Gemeinde zugeteilt ist, konstituiert dies eine Pfarrei. Nur, was heisst fix und ab wann ist eine Kirchgemeinde eine solche?

Ohne Moos nix los

Das Gebiet der heutigen Gemeinde Weiach gehörte bis zur Reformation zur Pfarrei Hohentengen (Dengen bei der hohen Kirch), gleich ennet dem Rhein. Ihrem Priester waren mehrere Kaplane unterstellt, die in den diversen Kirchen und Kapellen in den zugehörigen Dörfern für die Seelsorge zuständig waren. Seit wann in Weiach eine Kapelle stand, ist nach wie vor nicht bekannt.

Voraussetzung für die Einsetzung eines Priesters – und natürlich auch von Kaplanen – ist das Vorhandensein eines für das Leben des Geistlichen genügend grossen Einkommens aus Stiftungen, Besitztümern der Kirche, dem Zehnten, einem Kirchenfonds, oder was auch immer im konkreten Fall die Finanzierungsgrundlage war.

Lebensunterhalt und Unterkunft des Pfarrers muss gesichert sein

So gesehen kann eine Pfarrei erst dann als konstituiert betrachtet werden, wenn ein Pfarrer seinen Lebensunterhalt dauerhaft aus diesem Amt bestreiten kann. Im Falle von Weiach dauerte es Jahrzehnte bis die Einheimischen sich zusammentaten, um – in einer Zeit starken Bevölkerungswachstums und wachsenden Ellbogeneinsatzes (man denke an den Weidgangsstreit von 1594 oder die von der Obrigkeit dekretierte erste Gemeindeordnung von 1596) – die Finanzierung eines eigenen Prädikanten, der auch dauerhaft in der Gemeinde wohnen konnte, sicherzustellen. Dies war erst 1590 der Fall, worauf sich Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich 1591 bereit erklärten, ein Haus anzukaufen, um dort den Pfarrer wohnen zu lassen.

Aus dieser Sichtweise kann man mit Fug und Recht sagen, die Pfarrei sei 1591 gegründet worden. Diese Auffassung stellt auch über weite Strecken die herrschende Lehrmeinung dar (so bei Zollinger und auch in WeiachBlog-Beiträgen, vgl. Alte Lexika, herrschaftspolitisch betrachtet; Nr. 372 vom 30. Januar 2007: «Die selbstständige Pfarrei Weiach war sogar erst 1591 gegründet worden.»)

Eine Kirchgemeinde konstituiert sich und erzwingt die Seelsorge

Hier kommt nun der Aspekt der Gemeindegründung dazu. Im Falle von Weiach ist es (wie wohl in den meisten Fällen) eine Gründung von unten, aus der Basis heraus. Die Einheimischen hatten 1540 in einer Petition an die Zürcher Obrigkeit festgestellt, dass sie gross an Zahl seien und es ihnen an einem geistlichen Hirten mangle, weil sie weit weg von Stadel entfernt seien. Gleichzeitig wurde die Drohung platziert, eher wieder die Messe im rekatholisierten Kaiserstuhl besuchen zu wollen, als nach Stadel in den Gottesdienst zu pilgern, wenn sie keinen eigenen Pfarrer zugeteilt erhielten. Dieses trotzige Selbstbewusstsein zeigt, dass Weiach sich nun als eigene Gemeinde verstand.

Dass die Weiacher damit durchdrangen hat mit der in drei Punkten speziellen Situation zu tun: Aufgrund der Grenzlage mit fürstbischöflich beherrschten Katholiken im Norden und Westen, aus dem Umstand heraus, dass gleichzeitig der Fürstbischof in Weiach einen Teil der Niedergerichtsbarkeit innehatte und aufgrund der traditionell engen – auch wirtschaftlichen – Verflechtung der Weiacher mit Kaiserstuhl (viel enger als diejenige zum benachbarten Bauerndorf Stadel) entschied sich die Zürcher Obrigkeit, den Weiachern direkte Seelsorge angedeihen zu lassen. Sie stellten dafür einen Pfarrer ab, der zu den Gottesdiensten jeweils den langen Weg nach Weiach auf sich nehmen musste. Denn dort wohnen konnte er (wie man dem vorstehenden Abschnitt entnehmen kann) nicht.

So kommt es, dass – wie man dem Zürcher Pfarrerbuch von 1953 entnehmen kann – zwischen 1542 und 1590 über 60 namentlich bekannte, meist junge Pfarrer teils wohl nur für wenige Wochen – im Verständnis der Betroffenen (Pfarrer wie Einheimische) jedenfalls temporär – für die Betreuung von Weiach abgestellt wurden. Weiter diente Weiach als Bewährungsstelle für Prädikanten, die anderswo Probleme verursacht hatten, aber dennoch ein (wenn auch bescheidenes) Auskommen brauchten. Dass sich die Weiacher dann irgendwann einen eigenen Pfarrer wünschten, ist verständlich.

[Hinweis: Der Kapuzinerpater Siegfried Wind vertritt in seinem Beitrag «Zur Geschichte der katholischen Pfarrei Kaiserstuhl im Aargau» (vgl. Wann löste sich Wyach von der katholischen Kirche? WeiachBlog Nr. 958 vom 7. Januar 2011) die Auffassung, dass die Abspaltung von der Mutterpfarrei Hohentengen um 1532 herum vollzogen gewesen sein müsse].

Ist ein solches Gebilde nun eine Pfarrei? Oder «nur» eine Kirchgemeinde mit Sonderstatut und dem de facto-Recht auf einen – häufig wechselnden – Vikar?

Fäsis Bibliothek der Schweizerischen Staatskunde, 1797

Auch im ausgehenden 18. Jahrhundert hat sich Johann Caspar Fäsi (und allenfalls bereits sein Vater Johann Conrad) die Frage nach der Errichtung der Pfarreien gestellt und in einem kurzen Artikel in seiner Bibliothek der Schweizerischen Staatskunde auf fünf Seiten abgehandelt. Und er erklärt die Haltung der Obrigkeiten, die mit der Entsendung teuren Personals (Pfarrer) und der Finanzierung des Unterhalts teurer Infrastruktur (Kirchen) wohl zu allen Zeiten zurückhaltend waren recht gut:

«Wenn schon die Landesregierung sowohl zu Erbauung der Kirchen und Schulgebäude, als auch zu den Pfründe-Fonds beygetragen hat, so reichte dieses doch nicht ganz hin, die Gemeine selbst mußte sich anstrengen, und in den neueren Zeiten ist aus sehr guten Gründen zum Regulativ angenohmen worden, daß keine Gemeine eine noch nicht gestandene Kirche baue, oder ihr ein eigener Pfarrer gewidmet werden solle, wenn sie nicht erst einen Fond von 10000 fl. zusammengebracht habe.»

Auch die Weiacher mussten sich ja am Unterhalt ihres eigenen Pfarrers beteiligen, sonst hätte man ihnen weder Pfarrhaus noch dort wohnenden Pfarrer gewährt.

Die Titelseite des im März 1797 erschienenen Beitrags (auf der auch obiges Zitat zu finden ist) sieht so aus:



Man habe, schreibt Fäsi da, «aus einem am Ende des vorigen Jahrhunderts (d.h. wohl in den 1690er-Jahren) verfertigten Pfrundenbuche» eine «Liste der ersten Pfarrer jeder noch vorhandnen Pfarrergemeine ausgezogen, und in chronologische Ordnung gebracht». Leider ist weder erwähnt, wer «man» ist, noch um welches Pfrundenbuch es sich handelt.

Erster Pfarrer bzw. Pfarreigründung im Jahre 1549?

In der Chronologie erscheint Weiach mit einer etwas unerwarteten Jahrzahl: «1549 Weyach.».



Rein aus der Pfarrerliste lässt sich keine Zäsur ableiten, denn sowohl vor wie nach 1549 ist (im Pfarrerbuch 1952) ein bunter Reigen häufig wechselnder Pfarrherren festzustellen, die für Weiach zuständig waren, oft zwei und mehr pro Jahr.

Dazu passt die älteste mir bekannte Druckschrift in der Weiach erwähnt wird: die auf das Jahr 1550 datierte, in der berühmten Druckerei Froschauer hergestellte Schrift von Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich, genannt «Christenlich Ordnung vnnd satzung eines Ersamen Rats der Statt Zürych, den gmeinen Kilchgang vnd predigen, die Widertöuffer, Frömbde Religion, Verbotten aberglöubig künst, Kilchenrechnu[n]gen, Fyrtagen, Gottslesteren, Spilen, Zutrincken, Kleider, Waffenzetragen, Hochzyt vnd tantzen, Schebeten vnd zeeren, Reißlouffen, Wucher vnd furkouff, Die Ee vnd ander derglychen stuck, belangend: Sampt der ordnung Synodi, vornaher vßgangen. Yetzund aber alles in ein kurtzen begriff verfaßt vnd zusamen gestelt vnd in truck geben». (vgl. Erste Erwähnung von Wyach im Druck. WeiachBlog Nr. 1050 vom 10. September 2011)

Einen formellen Erlass der Zürcher Regierung, wonach Weiach ab 1549 als eigene Pfarrei gelte, habe ich bis anhin nicht finden können.

Forderung nach Geschichte von unten

In seiner Miszelle hat sich Fäsi im Anschluss an die «Liste der ersten Pfarrer» noch weitere, phänomenologisch entwickelte Gedanken gemacht - wenn auch methodisch wenig systematische:

«Es würde nützlich seyn zu wüssen, unter welchen Bedingungen jede neue Pfarre errichtet worden; die Bedingungen wurden auf den Vermögenszustand der Gemeinden zu Zeit der Errichtung schliessen lassen, man würde auch die Zahl der Gemeindsglieder, also die Stärke der Gemeinde erfahren, und ähnliche Nachrichten mehr.

Es ist zu vermuthen, daß jede Pfarre, ehe sie Pfarre geworden, eine Gemeinheit gewesen, oder gar aus mehreren Gemeinheiten bestanden. Ungemein lehrreich für die Geschichte des Landes wäre es, ein chronologisches Verzeichniß der Entstehung der Pfarren verbinden zu können, besonders wenn man auch etwas von den ersten Einrichtungen der Gemeinheiten beyfügen könnte. Gemeinheiten entstehen wie Höfe. Ein großer Bauernhof wird bey Anwachsen der Familie getheilt, so entstehen aus einem mehrere bis sie zu einem kleinen Dorf anwachsen; eine Gemeinheit vergrösseret sich, vom Mittelpunkt abgelegene Güter wachsen an, und eben dieses zeiget von Zeit zu Zeit die Beschaffenheit politischer Einsichten in diesen Gegenstand. Dieser Theil der Geschichte wird zu sehr vernachläßiget, und ist doch wichtiger als z.E. [zum Exemplum] die barbarischen Kriege, die im Grund immer einerley sind.»

Fäsi hat meines Erachtens insofern recht, als es immer die lokal geäusserten Bedürfnisse sind, welche - in Verbindung mit Hartnäckigkeit und finanzieller Beteiligung - zur Errichtung einer selbstständigen Pfarrei führten. Und heutzutage dazu, dass sie in einer grösseren Organisationseinheit aufzugehen droht.

Quellen
  • Aufnahme des Zürichgebiets. In: Bibliothek der Schweizerischen Staatskunde, Erdbeschreibung und Litteratur von J.C. Fäsi, Professor der Geschichte und Erdbeschreibung. Zweyter Jahrgang, IIItes Stük. Zürich, Im Verlag des Herausgebers, und in Commißion bey Christ. Ernst Gabler in Jena. 1797 - S. 133-137.
  • Dejung, E./Wuhrmann, W.: Zürcher Pfarrerbuch 1519-1952; Zürich 1953
  • Brandenberger, U.: Wie man nach dem Tode Bücher schreibt. WeiachBlog Nr. 999 vom 30. April 2011
[Veröffentlicht am 1. März 2019 um 14:00 MEZ]

Sonntag, 5. November 2017

Unser Vater, der du bist in den Himmeln!

Am heutigen Reformationssonntag erinnert man sich landauf, landab an die Rückbesinnung auf die biblischen Grundlagen des Glaubens, die unter anderem mit dem berühmt-berüchtigten Anschlag der 95 Thesen durch Martin Luther an der Schlosskirche zu Wittenberg Fahrt aufgenommen hat.

Ob dieser symbolische Akt wirklich passiert ist - und dazu noch exakt am 31. Oktober (wohl julianischer Zeitrechnung, d.h. der 10. November nach gregorianischer Zählung), darüber streiten sich die Gelehrten. Entscheidender war wohl das Vorhandensein einer Kombination aus tiefsitzenden Missständen in der römisch-katholischen Kirche (Stichwort: Ämterkauf und Ablasshandel), geistigem Aufbruch der Eliten mit dem Humanismus der Renaissance (z.B. durch Erasmus von Rotterdam), weitverbreiteten sozialen und wirtschaftlichen Problemen grosser Bevölkerungskreise und der seit Gutenberg verfügbaren Kulturtechnik des Drucks mit beweglichen Lettern (Buchdruck). All das zusammen hat erst den grossen, über Jahre stattfindenden geistig-gesellschaftlichen Umbruch bewirkt.

Gewisse Traditionen sind in den vergangenen fünfhundert Jahren in der durch Zwingli und Bullinger massgeblich geprägten Zürcher Kirche in fester, fast unveränderter Form überliefert worden. Dazu gehört eines der wohl den meisten Reformierten bekannten Elemente des Gottesdienstes, das Vaterunser.

Wenigen Reformierten mögen die reformatorischen Grundprinzipien sola scriptura, sola fide, sola gratia, solus Christus bekannt sein.


Mit den Jubiläums-Beutelsuppen die dieser Tage (beispielsweise heute in Langnau im Emmental) an die Gläubigen verteilt werden, mag das für kurze Zeit ändern.

Das Gebet am Schluss jedes Gottesdienstes aber kennt jede(r):

«Unser Vater der du bist in den Himmeln!
Geheiligt werde dein Namme.
Zukomme dein Reich.
Dein Wille geschehe auf Erde, wie im Himmel.
Gieb uns heut unser tägliches Brod.
Und vergieb uns unsere Schulden, wie auch
wir vergeben unsern Schuldnern,
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern
erlöse uns von dem Bösen!
Denn dein ist das Reich und die Kraft und
die Herrlichkeit in Ewigkeit, Amen.
»

So hat Walter Zollinger am 9. April 1964 den Text aus der Schulhaus-Weiherede von Pfr. Burkhard transkribiert. Diese Fassung des Vaterunsers steht am Schluss des Weihgottesdienstes für das Alte Schulhaus, der am 24. November 1836 stattfand - und man sieht kaum Änderungen im Vergleich zur heute üblichen Form des Gebets. Kein Wunder, bei einer derart zentralen Textstelle aus der Bergpredigt.

Quelle
  • Gebete + Rede bei der Einweihung des neuen Schulhauses den 24. Novbr. 1836. [Turmkugeldokument Nr. 6 - Signatur: OM Weiach KTD 6]; Abschrift des Originals von Walter Zollinger, fertiggestellt 9. April 1969

Dienstag, 31. Oktober 2017

Wo stand die alte Kapelle? Weidgangsstreit-Urkunde 1594 revisited

Im Zusammenhang mit dem Weidgangsstreit von 1594 (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 90, Gesamtausgabe S. 334) ist von «der alten capelen gmür» die Rede. Es handelt sich um den bisher einzigen, mir bekannten Hinweis auf eine alte Kapelle auf Weiacher Gemeindegebiet, die zu diesem Zeitpunkt aber bereits nicht mehr genutzt wurde (allenfalls: werden durfte, s. nächsten Absatz).

Auf welchen Zeitpunkt die Weyacher ihre Kirche im Oberdorf gebaut haben, ist nach wie vor unklar. Man darf annehmen, dass der Bau nach 1540 erfolgt ist, als sie von ihrer Obrigkeit zu Zürich einen eigenen Prädikanten forderten und damit einerseits der Platz in der Kapelle nicht mehr für alle ausgereicht hätte und andererseits möglicherweise auch Besitzansprüche der altgläubigen Mutterkirche (ennet dem Rhein in Hohentengen) die Nutzung der alten Kapelle für reformierte Gottesdienste verhindert haben.

Ein Vergleich der Fassung von Emil Maurer 1965 (Die Kirche zu Weiach) mit der von Paul Kläui 1955 (Aargauer Urkunden XIII) ergibt textliche Differenzen, die durchaus zu Problemen führen können, wenn man Maurer zur Lokalisierung der in der Weidgangsstreit-Urkunde von 1594 genannten Kapelle heranzieht:

Maurer zit n. Weiacher Geschichte(n) Nr. 90

«Was aber oberthalb dem Glattfelderweg und von dem alten capelengmür an zwüschent demselben und der lantstrass gegen Wyach ligt, darin söllent die von Keyserstuhl kein weidrecht haben, sondern der weidgang des endts denen von Wyach alleinig zugehören».

Kläui zit. n. Aargauer Urkunden XIII, Nr. 287 (Ausschnitt unten)

«Was aber oberthalb dem Glattfelder weg und von der alten capelen gmür an zwüschent demselben Glattfelder weg und der landtstraß gegen Wyach ligt, darin söllent die von Keyßerstuol dhein weidrecht haben, sonders der weidgang des endts denen von Wyach alleinig zuogehören».


Vermeintliche Doppelung entfernt?

Fast identisch. Aber eben nur fast. Frage: Wer hat da beim Abschreiben die Präzisierung «Glattfelder weg» nach «demselben» unterschlagen? Maurer selber beim Abschreiben aus Kläui? Oder hat Maurer sich im sog. Ortsgeschichte-Ordner (Archiv des Ortsmuseums Weiach) bedient? Vielleicht bleibt erneut (wie bei der Frage, ob es bereits 1381 einen Kirchhof gegeben habe, vgl. WG(n) 90) keine andere Lösung als sich das Original-Pergament (StAK Urk. 262) anzusehen.

Das Weglassen der Präzisierung ergibt nämlich u.U. eine völlig andere Interpretation der örtlichen Verhältnisse. Denn ohne die Präzisierung ordnet man das Wort «demselben» automatisch dem «capelengmür» zu - und nicht dem «Glattfelder weg».

Ganz abgesehen davon steht bei Kläui auch die sprachlich wesentlich elegantere Formulierung «der alten capelen gmür». Sie zeigt ganz deutlich, dass es sich um ein als Landmarke noch klar erkennbares Gebäude (wenn auch nicht zwingend eine Ruine) gehandelt haben muss, dessen (ehemalige) Funktion den Zeitgenossen des Weidgangsstreits von 1594 noch klar war.

Wo begann der Glattfelderweg?

Die entscheidende Frage ist, wo dieser «Glattfelder weg» 1594 (aus Kaiserstuhler und Fisibacher Sicht) seinen Anfang genommen hat. Dort, wo heute die Glattfelderstrasse beginnt, also an der Sternenkreuzung? Oder einiges weiter westlich, wo sich eine Abkürzung in gerader Linie über die Ebene von der Landstrasse Richtung Zürich abgezweigt hat (vgl. nachstehendes Bild: Ausschnitt Gygerkarte 1667)?

Letzteres ist wesentlich wahrscheinlicher bzw. aufgrund der Formulierung in der Urkunde von 1594 fast sicher, denn Trampelpfade gehen in der Regel der Direttissima nach (wer von Kaiserstuhl nach Glattfelden, Zweidlen oder auch nur ins Weiacher Hard will, der macht freiwillig keinen Umweg über das Dorf Weiach).


Die Gygerkarte von 1667 (s. oben) zeigt denn auch deutlich, wie der Verlauf dieses Glattfelderwegs gewesen sein muss. Die punktierte Fläche bezeichnet den Dorfetter von Weyach, d.h. diejenigen Flächen, die - wohl auch durch Zäune - vom übrigen Acker- und Weideland abgetrennt waren. Denn bis zum Glattfelderweg durften die Kaiserstuhler weiden lassen, aber nicht südlich davon, d.h. auf der geosteten Gygerkarte rechts des Wegs.

Fragenkorb revisited

Den Abschnitt über die Kapelle in Weiacher Geschichte(n) Nr. 90 habe ich mit den folgenden Absätzen beendet:

«Ist «altes capelengmür» ein Ausdruck für eine 1594 noch benützte Kapelle oder für eine Ruine? Ist damit die alte Kirche im Oberdorf gemeint, oder doch eher eine noch ältere Kapelle an einem anderem Standort? Und wieso ist Maurer sich so sicher, dass es schon im Mittelalter eine Kapelle gab? Diese Fragen sind meines Erachtens weiterhin ungelöst.

Mir ist auch nicht klar, wie Maurer aus der in der Urkunde gegebenen Beschreibung auf den Standort im Oberdorf schliesst. Es könnte genausogut die Rede von einer Kapelle sein, die irgendwo in der Ebene draussen stand, nicht aber im Dorf selber – je nachdem, wo genau die Weidegebiete lagen, die den Weiachern nach diesem Schiedsspruch zur alleinigen Nutzung zustanden.
»

Diese Fragen kann ich nun mindestens teilweise beantworten.

Standort Oberdorf? Unwahrscheinlich.

Entscheidend ist die bei Kläui überlieferte Lesung (AU XIII, Nr. 287). Rein von den örtlichen Gegebenheiten her kann es nicht sein, dass mit «der alten capelen gmür» ein Standort im Oberdorf gemeint war.

Hätte Maurer 1965 recht, dann müsste die Kapelle im Oberdorf entweder in der Nähe der alten Kirche gestanden haben (was möglich aber nicht sehr wahrscheinlich ist, rein von den Platzverhältnissen her) oder durch den reformierten Kirchenbau ersetzt worden sein. Diese Baute hat nachweislich 1658 existiert (1658 wurde von den Beauftragten der Zürcher Regierung, die nach dem grossen Dorfbrand zwecks Schadenassessment zu Rosse nach Weiach reisten, «im abhin riten» ein baufälliger Kirchturm moniert, wobei die Formulierung zeigt, dass sie von Raat her kamen und hinunter in die brandgeschädigte Chälen ritten), sie war 1644 verlängert worden und wurde nach 1706 obsolet.

Standort Luppen? Strassenklassierung spricht dagegen.

Wäre ein Standort der Kapelle auch an der Stelle möglich, wo heute die Luppenstrasse in die Hauptstrasse einmündet? Ja, aber nur wenn man «landtstrass gegen Wyach» anders als ein paar Zeilen oberhalb nicht von Kaiserstuhl aus gesehen definiert und gleichzeitig annimmt, die Strasse Richtung Glattfelden habe den Rang einer Landstrasse gehabt. Das war aber selbst ca. 100 Jahre später auch aus Zürcher Sicht nicht der Fall, vgl. WeiachTweet Nr. 950 vom 19.9.2017:
Standort Bedmen passt am besten.

Maurer hat sich wohl geirrt! Analysiert man die Textstelle von 1594 zusammen mit einem Blick auf die Gygerkarte, dann muss «der alten capelen gmür» etwa im Gebiet der Weggabelung gestanden haben, wo der Glattfelder Weg von der Landstrasse abzweigte. Auf welcher Seite der Strasse auch immer.

Die Kapelle erscheint damit einfach als weiterer Referenzpunkt an derjenigen Weggabelung, ab der oberhalb (also südlich) des Glattfelderwegs kein Weiderecht für Fisibacher und Kaiserstuhler mehr bestand, was im wesentlichen dem als Eschter bzw. Bedmen bezeichneten Vorland nördlich des Dorfes entspricht.

Wie man auf der Gygerkarte (von mir eingezeichnet) sieht, zweigt der Glattfelderweg (violett) auf der Höhe des Bedmen von der Landstrasse Zurzach-Kaiserstuhl-Weiach-Raat-Zürich (dunkelblau) ab:


Randnotiz: Der von Gyger eingezeichnete Verlauf der Landstrasse liegt im Widerspruch zu der im 19. Jahrhundert gebräuchlichen Bezeichnung für die heutige Bergstrasse, die man nach dem Bau der Stadlerstrasse noch als «Alten Zürichweg» bezeichnete. Stellt sich die Frage, ob die weit oberhalb der Häuser eingezeichnete Querung des Mülibachs einem Fehler Gygers oder schlicht der durch die Ostung verursachten Darstellung geschuldet ist, also der Frage, wie man eine Strasse am Osthang des Haggenberg einzeichnet, oder ob Mitte des 17. Jahrhundert die Landstrasse tatsächlich durch das gesamte Oberdorf verlief. Durch die damals noch spärliche Bebauung entlang der Bergstrasse sollte es den Obervögten 1658 auch von dort aus möglich gewesen sein, den schlechten Zustand des Kirchturms zu erkennen.

Weiderechte der Kaiserstuhler althergebracht

Aufgrund der Formulierung («und diserem Weg nach durch uß, was underthalb demselben gegem Rhyn zuo gelegen, wie von alter halb brüchig») ist es sehr wahrscheinlich, dass die Kaiserstuhler sogar im Hardwald bis zur Glattfelder Grenze weiden konnten. Und nicht nur bis zum Waldrand, so wie es beim Stocki der Fall war.

Der Umstand, dass im Rahmen des Weidgangsstreits von 1594 nur die Frage des Ausmasses des Weiderechts strittig war (wieviele Tiere, welche Tierarten, wieviele Tage pro Woche, bis wohin diese Tiere getrieben werden durften), nicht aber die Grundsatzfrage, ob überhaupt ein solches Recht bestehe, ist wieder einer dieser Hinweise, dass Kaiserstuhl bei der Gründung von den am Stadtprojekt beteiligten Adeligen (u.a. wohl auch die in Weiach massgebenden Freiherren von Wart) weitgehende Rechte zugesprochen wurden - sowohl auf dem Gemeindebann von Weiach, wie auf dem von Fisibach, aus denen das ummauerte Stadtgebiet um 1254 herausgeschnitten wurde (vgl. Naumann 1967).

Anders ist kaum zu erklären, weshalb auch 340 Jahre nach der Gründung diese Rechte («von alter halb brüchig») nicht bestritten werden konnten. Hätten die Weiacher das gekonnt, dann hätten sie es bestimmt getan, denn die ganze Ebene unterhalb (d.h. rheinwärts) des Glattfelderwegs und dazu das ganze Hasli - das war schon sehr viel Land, was sie bei stark zunehmender Bevölkerungszahl wohl lieber für sich allein genutzt und nicht noch mit den Kaiserstuhlern geteilt hätten.

Quellen
  • Naumann, H.: Der Kaiserstuhler Efaden. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, 115, 1967 – S. 213-236.
  • Brandenberger, U.: Kein Beweis für das Jahr 1381. Wurde die frühere Kirche im Oberdorf schon im Mittelalter erbaut? Weiacher Geschichte(n) Nr. 90. In: Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, Mai 2007.
  • Swisstopo (Hrsg.): Inventar historischer Verkehrswege im Kanton Zürich (Vorab-Version), Bern 2007 - S. 11
[Veröffentlicht am 28. Februar 2019 um 10:20 MEZ]

Samstag, 28. Oktober 2017

Eine 1. August-Rede als Publikationshelfer

Im Beitrag «Ortsgeschichte mit Fadenheftung und Leinen-Einband» (WeiachBlog Nr. 1292 vom 15. August 2016) steht folgender Abschnitt, zu dem nun neue Informationen vorliegen:

«Wann die Idee für das Buch «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach» entstanden ist, lässt sich anhand der vorliegenden Angaben nicht genau rekonstruieren. Wir wissen immerhin, dass der Autor die Bundesfeier 1971 zum Anlass genommen hat, einen Vortrag zum Thema «700 Jahre Weiach» zu halten (vgl. WeiachBlog Nr. 449 vom 7. Mai 2007). Er ist als 14-seitiges Skript erhalten geblieben. Ob der Vortragstext dem Buch Pate gestanden hat oder umgekehrt, dies könnte man allenfalls mittels genauer Textanalyse eruieren.»

Der letzte Satz zeigt, dass der WeiachBlog-Autor  mea culpa  den Vortragstext Zollingers im August 2016 noch nicht en détail studiert hatte.

Und auch über die Zeitverhältnisse hat er sich nicht gerade viele Gedanken gemacht.  Der Gemeinderat entschied nämlich bereits am 2. November 1971, den – als Typoskript vorliegenden – Text drucken zu lassen. Es ist natürlich möglich, ein Werk, wie es das blaue Büchlein Zollingers darstellt, innerhalb von drei Monaten nicht nur zu schreiben, sondern es auch noch vom Gemeinderat begutachten zu lassen. Aber sehr sportlich.

Patriotischen Anlass geschickt genutzt

Überlegungen wie die vorstehende sind jedoch obsolet. Bei der Lektüre des Vortragstextes wird nämlich an verschiedenen Stellen deutlich, dass

a) Zollinger bei der Niederschrift des Manuskripts für den 1. August-Vortrag den Entwurf seiner Monograpie in einem Stadium vorliegen hatte, der dem später gedruckten Werk entsprach (das belegen die Angaben zu den Kapiteln, mit denen er die Zuhörer zum Abschluss des Vortrags nochmal explizit «gluschtig» machen wollte) und ebenso, dass er

b) den Vortrag dazu nutzte, geschickt die Werbetrommel für die Publikation seines Werks zu rühren.

Von einem allzu expliziten Lobbying nahm er allerdings Abstand, wenn auch erst nach der erstmaligen Niederschrift des Redetextes, wie die handschriftliche Streichung der folgenden Passage in der Einleitung zeigt:

«Ich hoffe aber, dass Sie alle bald einmal Gelegenheit bekommen werden, die ganzen, bereits vorhandenen Ausführungen selber lesen zu können. Das hängt allerdings aber nicht von mir al-) lein ab!»

Diese Zeilen lassen keinen anderen Schluss zu: der Entwurf für das Buch lag vor und hat dem Vortrag Pate gestanden – und nicht umgekehrt.

Gemeinderat gibt Zollinger eine Plattform

Zollinger hat sicher einige Zeit an seinem Entwurf der Monographie «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach» gearbeitet, möglicherweise explizit im Hinblick auf das 700-Jahr-Jubiläum hin (das von ihm mitgegründete Ortsmuseum braucht ja Themen für seine Ausstellungen und 1971 ergab sich das Jubiläum 1271-1971).

Diese Umstände dürften auch dem damaligen Gemeindepräsidenten Ernst Baumgartner-Brennwald nicht unbekannt geblieben sein, worauf er Zollinger die Gelegenheit gab, anlässlich der Bundesfeier am 1. August 1971 darüber zu referieren und damit auch Reklame für die Ortsmuseums-Ausstellung zu machen (vgl. Höber, H.: 700 Jahre Weiach. Eine interessante Sonderausstellung im Ortsmuseum. In: Zürichbieter, Nr. 435, 18. September 1971).

Arbeit am Text an Ostern 1971 abgeschlossen

Und sehr wahrscheinlich hat Zollinger die Arbeiten an seinem Werk tatsächlich bereits an Ostern 1971 abgeschlossen. So, dass er gar keinen Anlass gesehen hat, in seinem «Vorwort des Verfassers» eine Korrektur auf Ostern 1972 vorzunehmen. Er hat damit den Abschluss seiner Recherche-Arbeiten dokumentieren wollen. Und wollte nicht einen Hinweis auf den Publikationszeitpunkt geben, wie ihn die Informations- und Dokumentationsspezialisten später im Werk suchten. Ausserdem konnte er auch nicht ahnen, dass die Publikation im Druck zufälligerweise auf dasselbe hohe kirchliche Fest fallen würde wie 1971 der Abschluss seiner Arbeiten am Manuskript. Denn der Arbeitsfortschritt lag ab November 1971 primär in den Händen der Druckerei.


[Veröffentlicht am 25. Februar 2019 um 11:30 MEZ]

Donnerstag, 14. September 2017

Korrektur Publikationsjahr auf 1972 abgeschlossen

Einer der ersten Beiträge auf WeiachBlog hatte die Verwirrung um das Publikationsjahr von Zollingers Chronik Weiach 1271-1971 zum Thema: An Ostern 1972 veröffentlicht – nicht 1971 (Nr. 19 vom 19. November 2005).

Die Zeitangabe «an Ostern 1971» im Vorwort des Verfassers bezog sich mit ziemlicher Sicherheit auf den Abschluss der Arbeiten am Typoskript. An die ansonsten fehlenden Angaben zum eigentlichen Publikationsjahr haben offensichtlich weder Autor noch Druckerei gedacht. Es war ja ein Büchlein von einem Weiacher für Weiacherinnen und Weiacher.

Kopfzerbrechen bei den Bücherprofis

Die Informations- und Dokumentationsspezialisten (wie die Berufsbezeichnung heute lautet) von verschiedenen Bibliotheken, die in den Besitz des blauen Büchleins gelangten, fanden keinen andern Hinweis als die Jahrzahl im Vorwort. Und so landete das Jahr 1971 durchgehend in allen offiziellen Aufzeichnungen von der Schweizer Nationalbibliographie bis hin zu den sämtlichen Bibliothekskatalogen (in der Schweiz und Deutschland).

Spätestens im Juni 2003 war dem Autor dieser Zeilen klar, dass die Chronik an Ostern 1972 und nicht 1971 publiziert worden war. Die Bitte um Korrektur in den Katalogen hat er aber erst ab 2016 an diejenigen Bibliotheken im In- und Ausland gerichtet, die das Werk in ihren Beständen haben.

Die erste Auflage ist bei folgenden Bibliotheken verfügbar - Stand September 2017:
  • Schweizerische Nationalbibliothek, Bern (Signatur: N 125761)
  • Zentralbibliothek Zürich (Signatur: FU 3003)
  • Staatsarchiv des Kantons Zürich (Signatur: Dc W 28)
  • Stadtarchiv Zürich (Signatur: Cc Weiach 2 USTAR)
  • Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig (Signatur: 1974 A 11479, vgl. Bild unten)
  • Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg (Signatur: 8° Gu DIE 044/1)
Die frühere Schweizer Landesbibliothek macht den Anfang

Nach der Korrektur im Helveticat, dem Katalog der Schweizerischen Nationalbibliothek, sah das Resultat im Metakatalog swissbib.ch so aus:


Mittlerweile sind auch die Exemplare der Zentralbibliothek Zürich, des Staatsarchivs des Kantons Zürich, sowie des Stadtarchiv Zürich daraufhin überprüft worden, ob es sich um die 1. oder die 2. Auflage handelt und entsprechend sieht der Eintrag im Verbund-Katalog NEBIS (wo alle zürcherischen Bibliotheken angeschlossen sind) nun so aus:


Auch in Deutschland hat man die Korrektur des Erscheinungsjahres im Katalog vorgenommen:


Richtigen Titel verwenden

Nun muss nur noch der Autor dieses Blogs selber den richtigen Titel verwenden. Denn Zollingers am weitesten verbreitetes Werk wurde im WeiachBlog auch schon unter falschen Titeln zitiert:
Zweimal 2011 komplett verkehrt als «Aus der Geschichte der Gemeinde Weiach» (Nr. 962 und Nr. 1043) und einmal 2016 als «Aus der Geschichte des Dorfes Weiach» (Nr. 1311, wie im Vorwort Zollingers von Ostern 1971). Korrekt ist einzig «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach».


[Veröffentlicht am 26. Februar 2019 um 11:30 MEZ]

Montag, 11. September 2017

Habent sua fata libelli

Bücher haben ihre eigenen Schicksale. Dieses berühmte Zitat des wohl aus dem heutigen Maghreb stammenden römischen Grammatikers Terentianus Maurus (Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr.) trifft auch auf die von Walter Zollinger an Ostern 1972 erstmals herausgegebene Ortsgeschichte mit Fadenheftung und Leinen-Einband zu (vgl. WeiachBlog Nr. 1292 vom 15. August 2016).

Denn jede(r) Lesende macht im Kopf eine ganz eigene Geschichte daraus, je nach Erfahrungshintergrund. Die Inhalte machen sich sozusagen selbstständig. Sie wachsen über das hinaus, was der Autor sich gedacht und vorgestellt hat. Deshalb ist es nicht ganz verkehrt, bei Büchern von Kindern zu reden. Die werden auch von Fremdeinflüssen geprägt - zum Teil noch bevor sie überhaupt den Uterus verlassen haben und geboren wurden. Vater und/oder Mutter haben da über kurz oder lang nur noch bedingt etwas zu sagen.

«Vergangenheit» oder doch «Geschichte»?

Die erwähnte Monographie zur Ortsgeschichte von Weiach macht da keine Ausnahme. Das 1972 publizierte Werk trägt den Titel «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach». Und ist - allerdings nur auf dem Umschlag - mit dem Zusatz «Weiach 1271-1971» versehen. Schon vor der Geburt machten sich Einflüsse aus der Umgebung bemerkbar. Dass der Titel aus Sicht Zollingers ursprünglich «Aus der Geschichte des Dorfes Weiach» hätte lauten sollen, sieht man dem Vorwort der 1. Auflage an, das Zollinger vor der Drucklegung offensichtlich anzupassen vergessen hat. Da steht nämlich:

«So ist «Aus der Geschichte des Dorfes Weiach», trotz der etwas bescheideneren Gestaltung, doch eine historisch getreue Zusammenstellung der erwähnenswerten Geschehnisse aus Frühzeit, Mittelalter, neuer und neuester Zeit geworden.»

Unklar ist, wer letztlich entschieden hat, den Titel auf «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach» zu ändern, so wie er dann auch gedruckt wurde. Das kann ein Entscheid des Gemeinderates ohne Konsultation des Autors gewesen sein, ein gemeinsamer Entschluss, aber auch ein Vorschlag, der von Zollinger allein eingebracht worden ist. [Vgl. Nachtrag vom 14. Januar 2019 am Schluss des Beitrags].

Ab der 3. Auflage hat dessen Bearbeiter den Begriff der «Geschichte» wieder in den Haupttitel befördert: «Weiach. Aus der Geschichte eines Unterländer Dorfes».

Umschlagtitel, Rückentitel und Titelei

Dass sich das geneigte Publikum die ihm passende Titelbezeichnung sozusagen aussuchen konnte, hängt auch damit zusammen, dass auf Umschlag, Buchrücken und dem eigentlichen Titel im Innern (der Titelei) je unterschiedliche Bezeichnungen stehen. Umschlagtitel: «WEIACH 1271-1971». Rückentitel: «WALTER ZOLLINGER CHRONIK WEIACH». Und im Innern: «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach». Damit war es sozusagen dem Zufall überlassen, was als eigentlicher Titel empfunden wurde.

Aus dem Rückentitel wurde über die Jahre der gebräuchliche Titel, was auch im Protokoll seinen Niederschlag fand. Lautete der Gemeinderatsbeschluss für die 1. Auflage noch: «Für die Drucklegung der Chronik "Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach" wird ein Kredit von rund Fr. 6'870.-- bewilligt.» (Gemeinderatsprotokoll, 2. November 1971) mit dem Wort «Chronik» als Gattungsbegriff, so ist «Chronik» mit den Jahren zum eigentlichen Titel avanciert, wie man am Beschluss zum Druck der 2. Auflage sieht: «Im Jahre 1971 liess der Gemeinderat 500 Ex. der von W. Zollinger verfassten Chronik Weiach 1271 – 1971 drucken.» (Gemeinderatsprotokoll, 29. Mai 1984). Der 1972 vorgesehene Haupttitel «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach» musste dem Sprachgebrauch und der Rezeption der Hauptzielgruppe weichen. Die spricht nämlich von Zollingers «Chronik».

Dennoch ist für die 3. bis 5. Auflage der Untertitel «Fünfte, überarbeitete Auflage von Walter Zollingers «Weiach 1271-1971. Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach»» gewählt worden, weil die Schweizer Bibliothekskataloge (vgl. Swissbib.ch) sich auf die Titelbezeichnung «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach, 1271-1971» geeinigt haben. Darauf, den Begriff der «Chronik» in den Titel zu setzen, wurde bewusst verzichtet, weil die Ereignisse eben nicht ausschliesslich in zeitlicher Reihenfolge geordnet dargestellt werden, was das Charakteristikum einer Chronik ist.

«Vergangenheit» oder «Geschichte»? Nachtrag vom 14. Januar 2019

Teil der Ausstellung zum 50-jährigen Jubiläum des Ortsmuseums Weiach (September 2018) war das in den Beständen des Museums erhalten gebliebene, dem Verfasser dieser Zeilen aber bislang unbekannte Typoskript mit handschriftlichen Korrekturvermerken, das dem Setzer in Dielsdorf für das 1972 gedruckte Werk zugrundelag. Das Titelblatt weist das Werk mit dem Titel «Aus der Vergangenheit des Dorfes Weiach» aus. Im Vorwort des Verfassers steht die Formulierung «Aus der Geschichte des Dorfes Weiach».

Es ist also nach wie vor nicht klar, ob Zollinger die Änderung des Titels auf eigene Initiative vorgenommen hat, oder ob ihn Dritte dazu gebracht haben. Zu vermuten ist, dass das Typoskript vor der Drucklegung nicht professionell lektoriert worden ist. Ein Lektorat hätte die Diskrepanz zwischen Vorwort und Titel bemerken müssen.

Donnerstag, 31. August 2017

In memoriam Mina Moser-Nepfer, 12.3.1911-27.7.2017

In den letzten Tagen des Juli hat der Allmächtige Mina Moser-Nepfer abberufen. Nach 38855 Tagen auf dem blauen Planeten. So lange dauerte die Lebensspanne der ältesten Weiacherin aller Zeiten.


Wenige Tage später verstarb mit Albert Wiesendanger-Meierhofer auch der älteste Weiacher (zuletzt wohnhaft im Wohn- und Pflegezentrum Tertianum Zur Heimat in der Nachbargemeinde Stadel).


(Auszug aus den Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, September 2017, S. 6)

Mina hingegen war es vergönnt, bis zuletzt in ihrem angestammten Umfeld an der Buhaldenstrasse 6 zusammen mit ihrer Tochter Katharina Zeindler-Moser leben zu können.


(Auszug aus den Mitteilungen für die Gemeinde Weiach, September 2017, S. 13)

Eine der wichtigsten Zeitzeuginnen

Mina war in Weiach eine Institution. Sie hatte bis auf wenige Jahre ihr ganzes Leben in Weiach verbracht und konnte wie keine zweite über alle möglichen Begebenheiten des früheren Lebens im Dorf Auskunft geben. Selbst im hohen Alter waren Gedächtnis und Verstand von beeindruckender Klarheit. Mit Mina konnte man problemlos über die aktuelle Tagespolitik diskutieren. Sie verfolgte aber ebenso die lokalen Geschehnisse und war sowohl bei Bundesfeier-Anlässen wie den Altersnachmittagen fast immer mit von der Partie. Und: sie blieb nicht stehen und ging mit der Zeit.

Der Verfasser des WeiachBlog erinnert sich noch gut an eine Episode vom Sommer 2004, welche sowohl die Verankerung in ihrer langen Lebensgeschichte, wie auch diese Anpassung an neue Zeiten emblematisch dokumentiert. Mitte Juli hatte eine Handvoll Journalistinnen der Regionalzeitung Zürcher Unterländer im Rahmen der Sommerloch-Aktion «Redaktion unterwäx» im Restaurant Wiesental Quartier bezogen und empfingen in der Gaststube ihre Gesprächspartner. Vor mir war Mina an der Reihe.

Sie habe erzählt, sie hätte kurz gezögert das Restaurant zu betreten, kolportierte die Redaktorin, habe sich dann aber gesagt: «Äh ba, Mina. Du bisch über Nünzgi - und es sind hüt anderi Ziite. Du gasch jetz da ine!» - Das bezog sich auf den Umstand, dass es sich in früheren Zeiten für eine Frau, die etwas auf ihren Ruf hielt, nicht schickte, sich allein (d.h. ohne männliche Begleitung) in eine Beiz zu begeben.

Kurzlebenslauf Mina Moser *1911

Verfasst von Hans Rutschmann für die Ortsmuseums-Ausstellung 2004

Vater: Albert Nepfer 1866-1955

Landwirt, Taglöhner, Korber, hatte zuerst nur 2 Ziegen, dann 5 Kühe. Als Taglöhner (z.B. Misttragen an der Fasnachtfluh) verdiente er 2 Fr. pro Tag.

Mutter: Anna Baumgartner 1867-1942 war Hebamme

Geschwister von Mina: Albert 1907-1989, Elsa 1913-1989

Mina besuchte die Schule von 1917-1925. Ihre Lieblingsfächer waren Nähschule und Rechnen.

Nach der Schulzeit arbeitete sie während 1 ½ Jahren in der Schäftenäherei in Weiach (Walder, Brüttisellen). Dann kam sie zu Fam. Nötzli nach Brüttisellen. Herr Nötzli war Meister in der Schuhfabrik, Frau Nötzli war Arbeitslehrerin und führte ein Lädeli. Bei Frau Nötzli lernt Mina nähen + sticken. Sie blieb 2 Jahre dort bis Frühling 1929 (Zürichseegfrörni!)

Nach 2 Jahren zuhause kam sie nach Le Sentier im Vallée de Joux zu Fam. Golay, die einen Uhrenstein-Versand betrieb (Pierres fines). 1931-1933 wiederum half Mina dann 2 Jahre lang zuhause aus (33-35) und für ein halbes Jahr in der [Weiacher] Pfarrfamilie Kilchsperger (1936).

Ab Herbst 1937 bis März 1939 diente sie in der Familie von Dr. Leisinger, der im Spital Männedorf Oberarzt war, später wohnhaft in Richterswil. Die Jahre des 2. Weltkrieges verbrachte sie zuhause.

In jener Zeit waren in Weiach 4 junge Männer aus dem Bernbiet mit Drainagearbeiten beschäftigt. Einer von ihnen, Alfred Moser aus Zäziwil, geb. 21. März 1915, verliebte sich in Mina – und am 12. Mai 1945 (4 Tage nach Ende des 2. Weltkrieges) feierten die Beiden in der Kirche Weiach Hochzeit.

Der Ehe entsprossen ein Mädchen (Katharina, geb. 1946 [Käthi Zeindler]) und 3 Knaben, von denen 2 im zarten Alter von 4 bezw. 2 Jahren durch Unfälle starben. Der Sohn Urs (geb. 1953) starb am 30. Juni 2000 an einem Herzschlag. Bereits 1968 hatte Mina ihren Gatten durch Herzschlag verloren.

Mina wünschte, dass der Bericht über sie möglichst kurz werde. Auf ihrem Tisch lag ein Büchlein mit dem Titel: «Wurzeln die mich tragen.» Täglich liest Mina darin. Heute steht: «Sage nicht alles, was du weisst, aber wisse immer, was du sagst.» (Matthias Claudius)

Auch das Wort von Goethes Mutter ist ihr wichtig: «Gott, der mich bis hierher gebracht hat, wird weiter sorgen.»

Viele Angehörige früh verloren

Wie man dem Lebenslauf entnehmen kann, war Mina mit 34 Jahren bereits verhältnismässig alt, als sie heiratete. Und: sie hatte viele Schicksalsschläge zu verarbeiten. Ihre Ehe dauerte nur 23 Jahre, ihr Mann wurde lediglich 53-jährig. Der erste Sohn starb vierjährig 1952, der zweite wurde 47-jährig. Der dritte Sohn starb schon im 2. Lebensjahr.

Walter Zollinger berichtet in seinen Jahreschroniken über diese tragischen Todesfälle:

«Der vermehrte Verkehr führte auch zu [..] bedauerlichen Unfällen: am 3. Mai lief der 4jährige Christeli Moser in ein dahersausendes Motorrad und erlitt einen Schädelbruch, der in der drauffolgenden Nacht zum Tode führte.» (G-Ch Weiach 1952, nach S. 11)

«Ein trauriges Geschick hat am 9.12. die Familie Moser-Nepfer ereilt; der 1 1/2-jährige Maxli fiel in einem unbewachten Augenblick in die nur leichtfertig bedeckte Jauchegrube und ertrank. Das Unglück wiegt um so schwerer, als vor 8 Jahren ein vierjähriges Knäblein derselben Familie, Christeli, in ein Töff hineinrannte und tödlich verunglückte.» (G-Ch Weiach 1958, S. 15)

R.I.P. Mina!

[Veröffentlicht am 25. Januar 2019 um 01:15 MEZ]

Sonntag, 6. August 2017

«Die Menschen sind das Besondere an der Schweiz!»

Der Festredner an der diesjährigen Bundesfeier in Weiach war ein SVP-Politiker - entsprechend den politischen Mehrheitsverhältnissen in der Gemeinde eine wenig verwunderliche Wahl. Getroffen hat sie Gemeinderat Michael Bärtsch, der seit Jahrzehnten in der Gastrobranche tätig ist:
Wer die Zürcher Gastronomie-Szene kennt, dem ist Kantonsrat Ernst Bachmann ein Begriff. Bachmann ist seit 1992 Präsident des Wirteverbandes der Stadt Zürich, ab 1998 auch von Gastro Zürich, dem kantonalen Wirteverband. Und seit 2001 fungiert er auch als Vizepräsident von GastroSuisse, dem nationalen Branchenverband.

Ein Patron alter Schule

Bachmann ist aber auch ein Patron alter Schule und seit über 40 Jahren Wirt in Zürich-Wollishofen. Seit 2009 führt er als Gastgeber des Traditionshaus Restaurant Muggenbühl (www.muggenbuehl.ch), das über der Allmend Brunau thront - und kauft auch regelmässig selber auf den Märkten regionale Landesprodukte ein. Mangelnde Bodenständigkeit kann man ihm also nicht vorwerfen. Und damit ist er sozusagen der ideale Redner für einen solchen Anlass in einer immer noch grundsätzlich konservativ gepolten Gemeinde.

Mit Ernst Bachmann hat sich bereits der neunte Festredner bereit erklärt, seine Ansprache via WeiachBlog für die Nachwelt festhalten zu lassen. Er hat mir - was heute selten ist - eine Kopie seines mit handschriftlichen Änderungen versehenen Redemanuskripts per A-Post zukommenlassen, begleitet von einem handgeschriebenen Brief (!).
Über die Entstehung seiner Rede heisst es da: «Ich habe immer wieder Aenderungen gemacht aber Sie haben nun das Exemplar so wie ich gesprochen habe.» - Man braucht also nicht einmal den sonst üblichen Disclaimer «Es gilt das gesprochene Wort» hinzuzusetzen.

Die Redaktion des WeiachBlog hat Bachmanns Rede tel quel übernommen, lediglich Satzzeichen und Orthographie sind - wo nötig - den heutigen Gepflogenheiten angepasst und Zwischentitel gesetzt worden. Ansonsten lesen Sie nachstehend den Originaltext.

Was macht uns einzigartig?

«Sehr geehrter Herr Gemeindepräsident,
sehr geehrte Herren Gemeinderäte und Behördenmitglieder,
sehr geehrte Damen und Herren der verschiedensten Vereine,
liebe Weycherinnen und Weycher und Gäste!

Sie werden sich fragen, warum kommt da einer aus der Stadt zu Ihnen nach Weiach als Festredner. Zu verdanken haben Sie das Ihrem netten Gemeinderat Michael Bärtsch. Er hat mich so nett gefragt, dass ich ihm spontan zusagte und daran habe ich mich gehalten - und zwar gerne. Und ich bedanke mich bei allen von ganzem Herzen für diese Einladung in Ihr schönes Weiach zu kommen.

Wenn Sie jetzt aber eine SVP-Hardliner-Ansprache erwarten, werden Sie vielleicht enttäuscht sein. Alles was auf dieser Welt geschieht, entnehmen Sie täglich den Medien, ob es stimmt oder nicht. Und es ist heute schon Schnee von gestern.

Ob Herr Trump nach nur 10 Tagen seinen Stabschef entlässt, Frau Bundesrätin Leuthard ihren möglichen Rücktritt bekannt gibt oder die Schweizerische Nationalbank nach Milliarden-Verlusten jetzt Milliardengewinn bekannt gibt - über all das will ich mich nicht äussern.

Ich bin gekommen, um mit Ihnen heute Abend den 726. Geburtstag unseres Vaterlands zu feiern. Traditionell feiern wir das landauf, landab mit Festansprachen, Feuerwerk, Bratwurst und Cervelat. Das ist alles schön, aber noch lange nicht alles. Wir wollen aber auch diesen Geburtstag feiern mit allen Menschen - egal woher sie kommen -, die sich in unserer Gesellschaft zu Hause fühlen und auch zu unserem Wohlstand beitragen.

Wir feiern unser einzigartiges und wunderschönes Land. Aber - und auch diese Frage muss heute erlaubt sein - was macht unser Land wirklich aus? Sie, die Sie so nah an der Grenze leben, bemerken sicher jeden Tag die grossen und kleinen Unterschiede. (Mit dem Flughafen haben Sie ja schliesslich auch die internationale Anbindung direkt vor der Tür). Sie leben nur ein paar hundert Meter vom Ausland entfernt. Haben Sie sich nie gefragt, was der Unterschied zwischen dem südlichen und dem nördlichen Rheinufer ist?

Sicher, wir haben viele Berge, aber Österreich hat die auch. Dass unsere etwas höher und schöner sind, versteht sich von selbst. Sie zum Beispiel haben den mächtigen Stadlerberg mit ganzen 615 Metern überm Meer.

Vom Stadlersee, hier in der Nähe, bis zum Genfersee auf der anderen Seite des Landes haben wir viel zu bieten, aber ein Meer wie die Italiener, die Deutschen, die Franzosen haben wir nicht.
Wir haben sehr gute Weine, aber die Franzosen haben das auch - und mehr Auswahl. Das Weiacher Fluetröpfli und der Weissherbst sind bis nach Zürich bekannt. Die Liechtensteiner haben einen Fürsten und ich habe sogar gehört, dass deutsche Würste unseren Würsten das Wasser reichen können.

Was also, ist das Besondere an der Schweiz?

Sie, liebe Landsleute, liebe Weycherinnen und Weycher! Sie machen unser Land zu dem, was es ist. Ohne Sie wären wir nur ein Landstrich zwischen anderen Ländern. Doch Sie machen mit Ihrem Engagement und Ihrer Beteiligung die Schweiz einzigartig und grossartig:

Ihnen haben wir unsere Strassen und Tunnel, Schienen und Brücken zu verdanken. Ihre Qualitätsarbeit ist überall ein Markenzeichen! Dank Ihnen brummt unsere Wirtschaft und es geht uns gut. Ihr Fleiss und Ihr Einsatz hat den Wohlstand geschaffen, in dem wir heute leben. Und Sie sorgen auch dafür, dass unsere Kinder und Enkelkinder in Wohlstand und Sicherheit leben können. Mit Ihrer Arbeit schaffen Sie jeden Tag ein Stück Zukunft für die Schweiz.

Von (vermeintlich) hohen Stimmbeteiligungen

Aber auch Ihre Stimme macht unser Land aus. Und was für eine Stimme Sie, liebe Weiacherinnen und Weiacher haben! Sie sprechen sich beständig und laut für eine neutrale und eigenständige Schweiz aus:

1920: Nein zum Völkerbund
1986: Nein zum UNO-Beitritt
1992: Nein zum Währungsfonds
1992: Nein zum EWR
und 2000: Nein zu den Bilateralen Verträgen

Und jedes Mal haben Sie, das sage ich mit grossem Respekt, eine überdurchschnittlich hohe Stimmbeteiligung gehabt. Auch wenn Frau Wertli letztes Jahr an dieser Stelle zu Recht angemahnt hat, dass es immer mehr sein könnten, besonders bei wichtigen Abstimmungen. Bei diesen wichtigen Abstimmungen haben Sie, liebe Weiacher, sich besonders stark beteiligt. Vielleicht liegt das daran, dass Sie die Grenze direkt vor Augen haben und deshalb wissen, was wir alle an unserem Land haben.

Auf jeden Fall ist das Abstimmen, und da schliesse ich mich Frau Wertli wieder an, entscheidend für unsere Demokratie. Aber nicht nur das, sondern auch das Diskutieren und sich Informieren. Jeder, ob links oder rechts, der mit mir zum Beispiel über Einwanderung oder andere politische Themen diskutiert, stärkt unsere Demokratie und hilft unserem Land. Es ist der Einsatz für das Ganze, das sich Einbringen und verantwortlich Fühlen, das unsere Demokratie am Laufen hält.

Nur unsere Stärke und unsere Neutralität sichern unsere Demokratie! Und um unsere Demokratie beneidet uns die ganze Welt!

Unsere direkte Demokratie kommt ohne Ihr Engagement nicht aus. Direkte Demokratie heisst eben nicht nur vier Mal im Jahr den Abstimmungszettel einwerfen (auch wenn das, nebenbei bemerkt, vielen ja schon zu viel ist). Demokratie heisst mitgestalten und sich engagieren.

Das persönliche Engagement macht den Unterschied

Sie haben einen ehemaligen Bewohner, der sich besonders engagiert. Herr Ulrich Brandenberger. Seine Weiacher Geschichte(n) geben einen spannenden und interessanten Einblick in die Vergangenheit Ihres schönen Dorfes: Von Kriegen und Hexenprozessen über Kirchengeschichte bis zur Kinderärztin Marie Meierhofer geben sie Auskunft. Da findet man sogar heraus, was eine "Liebessteuer" ist. Und wenn Sie sich jetzt wundern, was die "Liebessteuer" ist, sollten besser Sie die Weiacher Geschichte(n) lesen. Selbst im fernen (und doch so nahen) Zürich wurden seine Geschichten fleissig gelesen.

Mit seinen Geschichten gibt er diesem Dorf Charakter. Mit seinem WeiachBlog vollzieht er den Schritt von der Vergangenheit in die Gegenwart. Und wie ich höre, twittert er das Dorf nun auch in die Zukunft.

Sein Engagement und sein Einsatz für die Tradition, die Geschichte und die Bekanntheit von Weiach sind vorbildlich und - so komme ich wieder auf den 1. August - urschweizerisch. 

Das Schweizervolk liebt die Freiheit und die Selbstbestimmtheit. Aber der Einsatz für die Gemeinschaft ist das, was unser Land zusammenhält: Mitbürger, die ihre Zeit für Vereine opfern, die sich [..] der freiwilligen Feuerwehr anschliessen, die im Zivilschutz arbeiten und die, die in der Armee ihre Pflicht tun. Diese Mitbürger leisten jeden Tag einen wertvollen Dienst für ihre Nachbarn, ihre Kollegen und ihre Landsleute. So wie heute die Schützengesellschaft Weiach, die für das heutige Fest für die Organisation verantwortlich ist.


Auch die Politik in unserem Land fusst auf dem Milizsystem. Selbst wenn man gerne auf die Politik schimpft, ich ziehe den Hut vor jedem, der sich hier einbringt - mit einer Initiative oder für ein Amt. In diesem Sinne möchte ich auch Ihnen danken, geschätzte Mitglieder des Gemeinderats, für Ihren Einsatz für die Gemeinde. Auch wenn die kommunale Politik manchmal mühsam ist und nur selten jemand "Danke" sagt, ich finde, heute haben Sie einen Applaus verdient. Bitte einen Applaus für alle Ihre Kommunal-Politiker!

Noch ein Wort zu Ihrem Engagement: An Ihrem dreifachen Einsatz in Privatleben, Geschäftsleben und für die Gemeinschaft können sich manche Politiker in Bern ein Vorbild nehmen. Nur wer, wie Sie, mit beiden Füssen fest im Leben steht und bodenständig bleibt, kann gute Politik für unsere Zukunft machen.

Liebe Weycherinnen und Weycher, Ihr Gemeinderat und alle Vereinsmitglieder sind nur zwei Beispiele für Einsatz. Jeder von Ihnen macht es auf seine Weise und mit seinen Mitteln möglich, dass wir heute zusammen kommen. Und so feiern wir heute eben nicht nur den Geburtstag unseres schönen Landes, sondern auch Sie! Denn Sie machen den Unterschied aus: Zwischen all den anderen Ländern und unserer schönen Schweiz. Sie sind also das, was die Schweiz so einzigartig und so liebenswert macht. Und ich kann Ihnen aus ganzem Herzen sagen, ich bin stolz auf unser Land und ich bin stolz auf Sie, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger.

In diesem Sinne gratuliere ich Ihnen und uns allen zu diesem Land: zu seinen Bergen und Tälern, zu seinen Flüssen und Seen, zu seinen Wäldern und Weinbergen. Vor allem gratuliere ich unserem Land zu seiner Demokratie, zu seinem Milizsystem und zu seinen Bürgern. Und nicht zuletzt zu seiner Bratwurst und Cervelat.

Ich wünsche Ihnen weiterhin einen schönen 1. August und en Guete, ein schönes Singen und ein schönes Feuerwerk!




Kommentar zur Rede von Kantonsrat Bachmann

Es ist eine hübsche Pointe, dass bei einem Wirt die Würste einen zentralen Platz in der Festrede einnehmen - schon das Cabaret Rotstift wusste schliesslich, wie wichtig die als Lebensgrundlage des Gastgewerbes sind (vgl. den Sketch Die Wettervorhersage).

Aber Spass beiseite: die Weiacherin Deborah Meier, die «ihr Kaff» gern hart kritisiert, lobte am 2. August auf ihrer Website den Festredner Bachmann, er sei «trotz seiner rechtsgerichteten Partei überraschend-erfrischend liberal» herübergekommen. Aus der Feder dieser jungen Frau (27), die mit der SVP das Heu in keiner Weise auf der gleichen Bühne hat, ist das ein dickes Lob. Gratuliere, Herr Kantonsrat!

Und wo wir schon bei den Frauen sind: die sind dem Herrn Kantonsrat bereits bei der Begrüssung aufgefallen: «ich vermisse hier die Frauen» steht in Bachmanns Manuskript als Randnotiz. Wieder ein Auswärtiger, der feststellt, dass Frauen in der hohen Kommunalpolitik der Politischen Gemeinde Weiach so selten sind wie Einhörner - sprich: es gibt sie schlicht nicht.

En passant erwähnt: Trump habe, so Bachmann, «nach nur 10 Tagen seinen Stabschef» entlassen. Gemeint war natürlich der Kommunikationschef des Weissen Hauses, Anthony Scaramucci.

Weiter lobt Bachmann die Weiacher wegen ihrer hohen Stimmbeteiligung über den grünen Klee. Damit ist es allerdings in Tat und Wahrheit nicht so weit her - vor allem wenn man den Quervergleich mit anderen Gemeinden nicht scheut. Weiach kann sich in letzter Zeit gar Ambitionen auf die rote Laterne machen, so unterirdisch tief ist die Stimmbeteiligung mittlerweile (vgl. WeiachBlog, 25. September 2016).

Auch nicht ganz geheuer ist dem Verfasser dieses Kommentars die Lobeshymne Bachmanns auf sein Engagement. Es stimmt zwar, dass da viel Arbeit drinsteckt, in den Geschichte(n), den Blogbeiträgen und den Tweets. Aber im Vergleich zu Gemeinderäten, die amtsbedingt über Jahre hinweg viel Fremdbestimmtes auf die Nase gedrückt bekommen, ist der selbstgewählte Posten eines inoffiziellen Ortshistorikers dann doch wesentlich angenehmer, weil alle Aktivitäten rein von Freude und Interesse angetrieben sind. Und sie allenfalls einer Selbstverpflichtung unterliegen. Mehr nicht.

Den Seitenhieb auf Parlamentarier in National- und Ständerat, die nicht Amt und Geschäftsleben kombinieren (wie beispielsweise Balthasar Glättli, de facto ein Berufspolitiker, der nie im Geschäftsleben angekommen ist) - also keine echten Milizpolitiker sind - den kann sich Bachmann erlauben. Er lebt das Milizprinzip schliesslich selber in Reinkultur. Und das auch noch deutlich jenseits des offiziellen AHV-Alters.

Liefere statt lafere! Vielen Dank, Herr Bachmann!

Zu den Ansprachen früherer Jahre

Dienstag, 25. Juli 2017

Dem Weiacher Gemeindeförster zum 450. Jubiläum

Der sogenannte «Holzbrief» von 1567, der «geben jst zinnstags, den fünfftzechenden tag höwmonats», also am Dienstag, 15. Juli, wurde heute vor 450 Jahren besiegelt. [Der 15. Juli nach dem damaligen julianischen Kalender ist der 25. Juli nach der heute gültigen gregorianischen Zeitrechnung].

Es handelt sich dabei um die älteste bekannte Forstpolizeiverordnung für das Gebiet der Gemeinde Weiach, die insbesondere für die ausgedehnten Gemeindewälder galt.

An dem 71 auf 44 cm messenden Pergamentdokument mit der Signatur «StAZH C I Nr. 2979» hängen noch die drei Siegel des Fürstbischofs von Konstanz, Kardinal Merk Sittich, von Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich sowie von Johann Melchior Heggenzer, dem Herrn von Schwarzwasserstelz, der damals neben dem Fürstbischof die Hälfte der Niedergerichtsbarkeit über Weiach besass.

Teil der ersten Gemeindeverfassung

Diese Holzordnung wurde 1596 in die erste Gemeindeordnung, also die Verfassung der Gemeinde Weiach, aufgenommen und bildet darin den zweiten von drei Teilen. Über den Inhalt gibt WeiachBlog Nr. 879 vom 14. Juli 2010 Auskunft:

19. Niemand soll on Erlauptnus Holz hauwen. (RQNA 180 [1.])
20. Holz Einung (RQNA 180 [1.]) Busse für unerlaubten Holzschlag
21. Holz-Vorster (RQNA 180 [2.])
22. Der sin Huß und Heim verkauft, verwürkt sin Dorf-Recht (RQNA 180 [3.])
23. Holz allein uf Hüser ußgeben. (RQNA 180 [4./5.])
24. Zün Holz. (RQNA 180 [6.])
25. Buw Gschirr. (RQNA 180 [6.])
26. Holz zum unschädlichsten ze hauwen. (RQNA 180 [7.-9.])
27. Buw Holz (RQNA 180 [10./11.])
28. Fridhäg (RQNA 180 [12.])
29. Die Gmeind soll für sich selbs kein Holz ußrüten noch sonst hingeben. (RQNA 180 [13.])
30. Bruggen, Stäg und Wäg sc. (RQNA 180 [14.])
31. Wem die Bußen zugehören. (RQNA 180 [15.])

Die Nummerierung führt die Artikelzählung des 1. Teils fort. Die im Jahr 1996 als Nr. 180 in der Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen (I. Abteilung: Die Rechtsquellen des Kantons Zürich. Neue Folge. Zweiter Teil: Rechte der Landschaft; Erster Band: Das Neuamt) erschienene Transkription von Thomas Weibel wurde im August 1997 in den Mitteilungen für die Gemeinde Weiach abgedruckt (S. 13-15).

Der Gemeindewald war zu weiten Teilen nur noch Gestrüpp

Die Gemeinde Weiach hatte sich diese Holzordnung also nicht selber gegeben. Nein, sie wurde ihr von ihren Obrigkeiten aufgedrückt. Und das hatte sie sich selber zuzuschreiben, wie Thomas Weibel in den Vorbemerkungen zu seiner Edition belegt. Denn offensichtlich trieben die Weiacher ziemlich üblen Raubbau an ihrem Wald.

Bei einem Augenschein in den Weiacher Waldungen stellten Abgeordnete des Rechenrats (d.h. die Finanzkommission) des Zürcher Rates im Jahre 1566 zwar fest, dass «die gmeind Wygach ein trëffenliche große wyte von holtz» habe. Dasselbe sei aber «der mertheil gar und dermaßen geschënt unnd ußghowen, das schier nüt dann gstrüpp unnd dhein [kein] recht grogen holtz gwachsen».

Ursache des Missstands war nach Ansicht der Inspizienten, dass «hin unnd wider ghouwen unnd die höw nit wider jngeschlagen», also wo nötig eingezäunt und aufgeforstet worden seien. Weiter seien grössere Flächen ganz gerodet und zu Ackerland gemacht worden. (vgl. StAZH A 135.2 Nr. 119 für diesen, den folgenden und den vorstehenden Abschnitt).

Es geht auch um die Gemeindefinanzen

Besonders kritisiert wurde die trotz den Holzschlägen desolate Finanzlage der Gemeinde: «Unnd wiewol sy vil holtzes verkoufft, [...], haben sy doch nüt jm gmeinen seckel, sonnder sind ob 200 gl. schuldig.»

In der Präambel der Holzordnung wird denn dieses Gebaren als Ursache für den Eingriff in die Gemeindeautonomie auch deutlich benannt. Den Verantwortlichen wird vorgeworfen, dass sie «das erlößt gelt unnutzlichen vertzerint unnd sich harjnne dermassen haltind, das es jnen mitler zyt zuo grossem nachtheil unnd höchstem verderben reichen wurde.»

Selbstbedienungsladen Gemeindewald

Im ersten Artikel der Holzordnung wird jedem einzelnen Gemeindebürger die grassierende Selbstbedienungsmentalität noch einmal unmissverständlich vorgehalten: «Sidmalen bißhar unnder jro, der gmeind Wyach, deß holtzhows halb wenig ordnung gewesen, sonnder ein jeder darjnn gehowen das, so jm gefallen, unnd hiemit die wäldt zu nüti unnd abgang gerichtet, so sölle dasselb hiemit fry abgestelt unnd gentzlichen verpotten syn.»

Holzschläge dürften nur noch dort gemacht werden, wo sie durch die vier vereidigten Dorfmeier im ordentlichen Winterhau angewiesen worden seien. Wer sich nicht daran halte, der werde gebüsst.

Der Gemeindeförster soll jeden Tag im Wald zum Rechten sehen

Im zweiten Artikel wurde das Amt des Vorsters geschaffen: «Unnd damit disem einung [also den Vorgaben von Artikel 1] dester styffer gelept unnd die höltzer beschirmpt, so sölle uß der gmeind ein holtz vorster genommen werden, wellicher einen eidt schweren, das er (sover es im lybs halb moglich) alle tag jnn alle der gmeind höltzer gon unnd zuo denselben luogen unnd sorg haben; unnd damit er söllichs destbas volbringen möge, so sölle jme alle wuchen einer uß der gmeind hiertzuo beholffen syn, die höltzer obvermelter gestalt zuo vergoumen, unnd es unnder der gmeind also jnn der kere umbgon, unnd das ouch mitnammen der selbig, deß glychen der vorster, ouch die geschwornen richtere unnd alle grichtsgnossen schuldig unnd verpunden syn, wo sy sechen ald [oder] fundint, jnn holtz oder veld schaden thuon, einandern by jren eidenn zeleiden [zu melden], darjnne niemandts zuo verschonen unnd dasselbig einem undervogt anzuotzeigen, damit die ungehorsammen umb jr übertretten gestrafft werdint. Unnd sölle namlich einem holtzvorster jerlichen für syn belonung gefolgen unnd verlangen achtzechen guldin und von jedem zug zwo korn garben.» (Art. 21 GO 1596)

Jeden Tag in alle Gemeindewälder gehen. Ein Vollzeitjob. Kein Wunder wurde ebenso dekretiert, dass alle Amtsträger und sogar jeder Einwohner ihm dabei helfen müsse, indem man sie verpflichtete, Übertretungen dem Untervogt zu melden, damit die Fehlbaren bestraft werden könnten.

Für seine Arbeit erhielt der «Holtzvorster» einen Jahreslohn von 18 Gulden und eine fixe Abgabe aus der Kornernte von jedem Bauernbetrieb in der Gemeinde.

Die Misswirtschaft wird frischfröhlich weitergeführt

Einfach dürfte das Amt des Försters nicht gewesen sein. Zumal sich offenbar selbst hochgestellte Personen und vereidigte Amtsträger schlicht und ergreifend um die neue Holzordnung foutiert haben.

Anders ist nicht zu erklären, warum Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich sich im September 1568 genötigt sahen, den konstanzischen Obervogt zu Kaiserstuhl aufzufordern, verschiedene Kaiserstuhler, darunter die Schultheissen Stoll und Felber (!), mit Bussgeld zu belegen. Die hatten nämlich ohne Erlaubnis in den Weiacher Wäldern Eichen fällen und wegführen lassen (vgl. StAZH B IV 28 fol. 196).

Allzu eifrig dürfte der konstanzische Obervogt nicht gegen diese Eigenmächtigkeiten vorgegangen sein, sonst hätte Gerichtsherr Heggenzer nicht am 7. April 1570 über den Weibel des Neuamts den Rechenrat in Kenntnis setzen lassen, «das die von Wyach dhein [kein] pott [Gebot] noch verpott haltinnd, dartzu weder eer noch eyd betrachtind [...], sonnders verwüstennd die holtzer, unnd dorffend etliche jnn einem sitz zu Keyßerstul acht oder zechen claffter uß dem gemeinen holtz vertrinncken, unnd das er myn herren umb gottes willen pitte, das sy jme harjnne behulffen unnd berathen, ouch darob unnd darjnn syginnd, das harjnne ein jnsëchen beschëche».

Die Weiacher dürften sich gesagt haben, wenn die Kaiserstuhler schon weitermachten wie bisher, warum dann ausgerechnet sie sich an die neuen Regelungen halten sollten. Von fürstbischöflicher Seite hatten sie wenig zu befürchten, wenn Holzerlöse aus dem Gemeindewald bei den Kaiserstuhler Wirten investiert wurden, denn das erhöhte natürlich die Steuereinnahmen des Bischofs.

Heggenzer warf dem konstanzischen Obervogt denn auch vor, er sei den Weiachern gegenüber «vil zemilt unnd gnedig» (vgl. StAZH A 135.2 Nr. 146 für diesen und die beiden vorangehenden Absätze).

Bürgermeister und Rat der Stadt Zürich beauftragten daraufhin die beiden Obervögte des Neuamts, sich nach Weiach zu begeben und dafür zu sorgen, dass die Übertreter der Holzordnung bestraft werden (StAZH A 135.2 Nr. 148).

[Veröffentlicht am 24. Februar 2019 um 17:00 MEZ]